Strindberg-Uhl Frida; Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Kabarettgründerin, Übersetzerin und Drehbuchautorin
Geb. Mondsee, OÖ, 4.4.1872
Gest. Salzburg, Sbg., 28.6.1943
St.-U. wurde am 4. April 1872 in Mondsee geboren. Ihr Vater Friedrich Uhl war ein angesehener Theaterkritiker und publizierte mehrere Romane. Als Chefredakteur der amtlichen „Wiener Zeitung“ hielt er regelmäßig Kontakt mit Kaiser Franz Joseph und ließ sich deshalb in Mondsee unweit von Bad Ischl eine Sommervilla erbauen, in der F. St.-U. unter der Obhut einer Amme aufwuchs. Ihre Eltern lebten in Trennung, ließen sich aber aus Prestigegründen nicht scheiden und sahen sich einmal jährlich in Mondsee.
Obwohl Friedrich Uhl politisch ein Liberaler der ersten Stunde war, schickte er seine Tochter neun Jahre lang in Klosterschulen nach Görz, Bad Reichenhall, London und Paris. Die dabei erworbenen Sprachkenntnisse kamen ihr später als Übersetzerin zugute.
1892 wechselte F. St.-U. als Literaturkorrespondentin der „Wiener Zeitung“ nach Berlin, wo sie als 20-jährige Frau ein für damalige Verhältnisse ungewöhnlich freies Leben führen konnte. Sie begeisterte sich für die Ideen der Naturalisten, deren Vorkämpfer Hermann Sudermann sie verherrlichte. In ihm, dem sie auch privat nahe kam, sah die einstige Klosterschülerin einen Anwalt des „Natürlichen“ gegen die künstlichen Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft. Im Jänner 1893 lernte F. St.-U. den schwedischen Autor August Strindberg kennen, der nach der Scheidung seiner ersten Ehe nach Berlin übersiedelt war. Einen Heiratsantrag wehrte sie mit der Begründung ab, dass der 23 Jahre ältere Strindberg nicht sie, sondern nur das erhebende Gefühl des Verliebtseins liebe; seine Liebe wäre nur eine „Illusion“. Trotzdem kam es im Mai 1893 zur Hochzeit. Nach Kurzaufenthalten in London, Mondsee und Berlin zog sich das Ehepaar im November 1893 aus finanziellen Gründen auf den Gutshof von F. St.-U.s Großeltern in Saxen (Oberösterreich) zurück. Dort brachte F. St.-U. am 26. Mai 1894 die gemeinsame Tochter Kerstin zur Welt. Als F. wieder anfing, moderne französische Literatur zu übersetzen und bei einem Kurzbesuch in Paris Kontakte zu Verlegern aufzubauen, warf ihr Strindberg in einer Serie verletzender Briefe Ehebruch vor. Daraufhin trat F. St.-U. vor den Scheidungsanwalt. 1897 wurde die Ehe von einem österreichischen Gericht für ungültig erklärt. Den Namen Strindberg legte F. bei dieser Gelegenheit nicht ab. F. St.-U. versuchte zunächst, sich in München durchzuschlagen. Aus einer kurzen Liaison mit dem Dramatiker Frank Wedekind ging 1897 der Sohn Friedrich hervor, welcher wie Kerstin bei F.s Mutter Marie Uhl in Saxen aufwuchs. Zusammen mit Franziska Gräfin zu Reventlow, die sie ihre „Schicksalsschwester“ nannte, betrieb F. für die Schwabinger Künstlerbohème eine Milchbar. 1902 kehrte die glücklose F. St. am Boden zerstört zur Mutter nach Saxen zurück. Über ihren Vater kam sie in Wien mit Autoren wie Arthur Schnitzler, Peter Altenberg und Karl Kraus in Kontakt. Für den Wiener Verlag, der die erste deutsche Gesamtausgabe Oscar Wildes herausgab, übersetzte die einstige Londoner Klosterschülerin einige Werke Wildes (u. a. „Salome“, „The Canterville Ghost“), manche davon waren Erstübersetzungen. Wiederholt engagierte sie sich auch für in Not geratene Schriftsteller wie Peter Altenberg. Karl Kraus schlug sie nach der Beschlagnahme von Frank Wedekinds „Die Büchse der Pandora“ in Deutschland eine Aufführung des Stückes unter den Auspizien der „Fackel“ vor, ein Vorhaben, welches 1905 tatsächlich realisiert wurde. Nach dem Tod ihres Vaters (1906) gab F. St.-U. in einem Sammelband mit dem Titel „Aus meinem Leben“ einige seiner Essays heraus. Durch die reiche Erbschaft verfügte sie erstmals in ihrem Leben über viel Geld und machte durch einen aufwendigen Lebensstil und astronomisch hohe Schneiderrechnungen von sich reden. 1908 kam es zu gerichtlichen Vorerhebungen wegen des Verdachtes der fahrlässigen Krida, Veruntreuung, Betrug, gefährlicher Drohung und Erpressung, welche in den Medien genüsslich ausgebreitet wurden. Die Untersuchungen wurden wieder eingestellt, aber F. St.-U. war von den Vorgängen so getroffen, dass sie einen Selbstmordversuch unternahm und später nach London flüchtete. 1912 gelang es F. St.-U., im Stadtteil Soho das erste Kabarett Londons zu gründen. Sie nannte es „The Cave of the Golden Calf“. Die Avantgardisten Percy Wyndham Lewis und Jacob Epstein gestalteten das Lokal künstlerisch aus, und Literaten wie James Joyce und Ezra Pound verkehrten dort. F. St.-U. brachte Strindberg-Stücke auf die Bühne, organisierte eine Lesung des italienischen Futuristen Filippo Tomaso Marinetti und eine Aufführung von Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste sie als Österreicherin London verlassen und zog nach New York. Dort verdiente sich F. St.-U. ihren Lebensunterhalt mit Vortragsreisen über August Strindberg und die literarische Moderne in Europa. Sie eroberte sich auch das neue Metier des Films und schrieb unter dem Pseudonym Marie Eve Drehbücher, die sie selbst als „murderous trash“ charakterisierte. 1924 kehrte die inzwischen 52-jährige F. St. nach Mondsee zurück. Ihr letztes großes Projekt war ein Erinnerungsbuch an die Ehe mit August Strindberg. Die schwedische Ausgabe erschien 1933-34, die deutsche Version 1936 unter dem Titel „Lieb, Leid und Zeit“. Die eigene Sicht der Dinge, wie sie im Briefwechsel mit Strindberg deutlich wird, war im späten Buch nicht mehr vorhanden. Die Memoirenschreiberin wollte, wie es der englische Titel „Marriage with a Genius“ erkennen ließ, Strindberg ein Denkmal als literarisches Genie setzen und verklärte im Nachhinein die kurze Ehe. Am 28. Juni 1943 starb F. St.-U. vereinsamt im Landeskrankenhaus Salzburg. Ihr Grab befindet sich in Mondsee, wo sie zuletzt gelebt hat.
Qu.: Nachlass: Königliche Bibliothek Stockholm, August-Strindberg-Museum Saxen (O.Ö.), Privatbesitz.
W.: „Strindberg och hans andra hustru, 2 Bde.“ (1933-34: dt. Ausgabe unter dem Titel „Lieb, Leid und Zeit: Eine unvergessliche Ehe“, 1936), „‚Wenn nein, nein!’ August Strindberg und Frida Uhl: Briefwechsel 1893-1902, ausgew., hrsg. u. übers. von Friedrich Buchmayr“ (1993)
L.: Buchmayr 1995, Buchmayr 2012, Die andere Welt 1993, Strauss 2000
Friedrich Buchmayr