Streyczek Agnes, geb. Weymola; Zeugin Jehovas und Gegnerin des NS-Regimes
Geb. 15.1.1890
Gest. St. Pölten, NÖ, 10.12.1963
Herkunft, Verwandtschaften: A. St. wird am 15. Jänner 1890 geboren. Über ihre Familie und ihre Kindheit ist nichts bekannt.
LebenspartnerInnen, Kinder: Sie heiratet Anton Streyczek (geb. 25.2.1899), mit dem sie in St. Pölten, in einer Dachgeschosswohnung in der Mariazellerstraße 164 – heute „Pension Elisabeth“ – wohnt. Am 31. März 1938 übersiedelt das Ehepaar Streyczek in die Mariazellerstraße 39. Die Ehe bleibt kinderlos.
Laufbahn: A. St. beschäftigt sich bereits einige Zeit vor 1939 mit der biblischen Lehre der Zeugen Jehovas. Sie wird als eine sehr glaubensstarke Persönlichkeit bekannt. Im Frühjahr 1939 befindet sich ihr Mann Anton bereits im Heeresdienst beim „Kavallerie Schützenregiment 10“. Nach einem Einsatz, bei dem viele seiner Kameraden ums Leben kommen, bekommt Anton Heimaturlaub. In dieser Zeit erzählt ihm A. St. immer wieder begeistert von ihrer neuen Glaubensüberzeugung. A. und Anton Streyczek lassen sich am 30. Juli 1939 als Zeugen Jehovas taufen. Anton entschließt sich keinen Kriegsdienst mehr zu leisten und verweigert am 8. September 1939 die Wiederaufnahme des Kriegsdienstes. Am 17. September 1939 wird er von zwei Gestapo-Beamten verhaftet, zunächst nach Wien gebracht und schließlich am 15. November 1939 in Berlin vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 22. Dezember 1939 in Berlin-Plötzensee enthauptet. Trotz dieses schrecklichen Verlustes bleibt A. St. bei ihrer Glaubensüberzeugung. Sie wird am 12. Juni 1940 selbst von der Gestapo verhaftet und nach ihrer Gesinnung befragt mit dem Zusatz: „Wenn Sie denselben Glauben haben, dann geschieht Ihnen so, wie Ihrem Mann.“ A. St. verleugnet ihre Gesinnung nicht und wird daher in das Bezirksgefängnis St. Pölten und noch im Dezember 1940 ins Polizeigefängnis Wien eingeliefert. Nach sechs Monaten Haft ohne Gerichtsverhandlung wird sie am 21. Dezember 1940 in das Frauenkonzentrationslager nach Ravensbrück überführt. Dort wird sie zur Nummer 4267/52. Später kommt A. St. mit dem ersten Frauentransport, nämlich am 24. März 1942 nach Auschwitz. Als Häftling arbeitet sie bei den verschiedenen Ärzten, auch bei dem Leiter der SS-„Apotheke“ Adolf Kroemer, der ihr schmeichlerisch verspricht ein Mitglied seiner Familie zu werden, wenn sie bereit wäre, ein Schriftstück zu unterschreiben. A. St. schreibt 1956 ihre Erinnerungen daran auf: „Als ich das Schriftstück durchlas, stellte ich fest, was von mir verlangt wurde, nämlich mich vom christlichen Glauben loszusagen, und die Bibel als Irrlehren enthaltend künftig unbeachtet zu lassen. Hierauf erklärte ich ihm, dass ich so etwas nie unterschreiben würde, da ich erkannt hatte, dass die Bibel Gottes inspiriertes Wort wäre. Er meinte, ich hätte eine Woche Zeit, um zu überlegen; würde ich mich negativ entscheiden, so würde ich vergast werden. Die darauffolgenden Tage wurde ich zusammen mit 80 Glaubensschwestern und 20 Jüdinnen neben einigen politischen Häftlingen in eine Badehalle gebracht. Nachdem wir uns auf Befehl unserer Kleidung entledigt hatten, marschierten verschiedene Lagerführer herein, wahrscheinlich in der Annahme, Jehovas Zeugen würden nun angesichts des Todes das oben erwähnte Schriftstück unterzeichnen. Aber, Gott sei Dank, keine einzige von uns unterschrieb. Hernach ließ man für volle sechs Stunden abwechslungsweise eiskaltes und wieder heißes Wasser auf uns niederrinnen. Hernach trat ein SS-Mann herein und befahl: ‚Bibelforscher alle heraus und an die Arbeit gehen!‘ Natürlich waren wir alle froh, lebend aus der Badehalle herauszukommen um dem Herrn weiter treu zu dienen. Apotheker Kroemer meinte, ob uns bei dieser Behandlung nicht die Angst gepeinigt habe, worauf ich ihm klar machte, dass Jehova im Falle einer Vergasung uns auch die Kraft gegeben hätte dies zu ertragen.“ (Erinnerungsbericht von A. St.). Am 18. Jänner 1945 wird A. St. nach Ravensbrück rücküberstellt und erhält die Nummer 100286. Ende April beginnt die Auflösung des Lagers. A. St. und ihre etwa 250 Glaubensschwestern sind bereits abmarschbereit. Da sie sich weigern, ihre kranken Glaubensschwestern, die sie auf zwei Wagen geladen haben, zurückzulassen, müssen alle im Lager bleiben. Am 21. Juni 1945 kann A. St. zusammen mit den anderen endlich das Lager verlassen und in die Heimat zurückkehren. Nach ihrer Rückkehr als nach wie vor überzeugte Zeugin Jehovas lebt sie wieder in St. Pölten in ihrer ehemaligen Wohnung in der Mariazellerstraße 39, bleibt aber unverheiratet. Sie stirbt am 10. Dezember 1963.
Qu.: DÖW E19285, Jehovas Zeugen Österreich/Geschichtsarchiv: Erinnerungsbericht von A. St. aus dem Jahr 1956, Brief aus Ravensbrück vom 1.6.1941.
L.: Dokumentationsarchiv 1987a, Hesse/Harder 2001, http://www.standhaft.at/ermordete/streyczek-anton/agnes-streyczek/index.html (25.11.2009)
Heidi Gsell