Schütte-Lihotzky Grete
Geb. Wien, 23.1.1897
Gest. Wien, 20.1.2000
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Erwin Lihotzky (1866-1923), österr. Staatsbeamter; Mutter: Julie (1876-1924); Schwester: Adele (1893-1968), Lehrerin.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1927 Heirat mit Wilhelm Schütte (1900-1968), Architekt.
Ausbildungen: Volks- und Bürgerschule, erster Privatunterricht in Malerei in Wien, 1915 Vorbereitungsklasse „Allgemeine Formenlehre“ an der Wiener Kunstgewerbeschule, geleitet von Oskar Strnad; 1915-19 Wiener Kunstgewerbeschule (heute Universität für Angewandte Kunst), Studium der Architektur (Prof. Strnad) und Baukonstruktion (Prof. Tessenow), schloss als erste Österreicherin ein Architekturstudium ab (Diplom 1923).
Laufbahn: Nach dem Studium Mitarbeit in den Ateliers von Oskar Strnad und Robert Oerley; 1919 erste selbständige Arbeit im eigenen Büro; 1919/20 Studien- und Praxisaufenthalt in Holland; 1920 Projekt einer Kleingarten- u. Siedlungsanlage auf dem Schafberg bei Wien (1. Preis), dadurch Kontakt mit der Wiener Siedlerbewegung, 1920-21 Mitarbeit im Architekturbüro Holland (Wohn- und Kindergartenbau), 1920/21 im Siedlungsamt der Stadt Wien unter der Leitung von Max Ermers und Adolf Loos tätig; u. a. im Baubüro der Siedlung „Friedensstadt“ am Lainzer Tiergarten für die Erste Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsbeschädigten Österreichs sowie im Architekturbüro Ernst Egli für die Siedlung Eden; 1922-25 Arbeit im Baubüro des österr. Verbandes für Siedlungs- u. Kleingartenwesen; G. L. entwarf selbständig Siedlungs- u. Bebauungspläne sowie Kernhausbauten. 1923 Gründung einer Beratungsstelle für Innenarchitektur, 1923 Mitglied der SDAP, Mitarbeit am Aufbau des späteren Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in Wien, 1924 Entwurf eines Wohnblocks mit 60 Wohnungen (Winarskyhof, Wien 20); 1924-25 Erkrankung an Tuberkulose; 1926 nach Verbandsauflösung Berufung in die Typisierungsabteilung des Hochbauamtes der Stadt Frankfurt am Main durch Ernst May, 1926-30 Mitarbeit im Wohnungsbaureferat, Spezialisierung auf Kindergärten und -krippen sowie Küchenrationalisierung, Weiterentwicklung ihrer schon in Wien für die serienmäßige Herstellung entwickelten Koch- und Spülnischen (später bekannt unter „Frankfurter Küche“), Mitarbeit an „Das Neue Frankfurt“, Vorträge und Kurse über Wohnungsbau in verschiedenen deutschen Städten, Teilnahme u. a. an Ausstellungen von „Der Werkbund“ in Stuttgart und in Wien, Auftragsarbeiten in Luxemburg, Polen und Frankreich; 1927 aus Anlass der Ereignisse des 15. Juli in Wien Austritt aus der SDAP; 1927 und 1929 Ausstellungsbeteiligungen in Frankfurt („Die neue Wohnung und ihr Innenausbau“ und „Die Wohnung für das Existenzminimum“), 1928 in München („Heim und Technik“); Oktober 1930 als Mitglied der Gruppe Ernst May mit Fünfjahresvertrag nach Moskau, gem. mit ihrem Mann und E. May 1930-37 als Leiterin der Abteilung für Kinderbauten und Kinderkrippen im Gesundheitsministerium bei der Projektierung neuer Städte (u. a. Magnitogorsk, Stalinsk, Makeewka) und Industriegebiete in der UdSSR (Ural), Mitarbeit an der Akademie für Architektur und an der Zeitschrift Architektura za rubezom Moskau; 1933 Teilnahme an einer Architekturausstellung in Chicago, 1934 auf Einladung Tschiang Kai-scheks Studienreise nach China, Ausarbeitung von Richtlinien für chinesische Kinderanstalten; Arbeitsaufenthalte in Paris und Istanbul; ab 1936 vorwiegend beratende Tätigkeit (u. a. 1937 Mitglied der Regierungskommission bei der Auswahl von Möbelmodellen für Massenproduktion); 1937 nach Ablaufen des deutschen Passes nach Paris, auf Anraten Ernst Fischers Kontaktaufnahme mit Vertretern der KPÖ, 1939 in der Illegalität Beitritt zur KPÖ, Mitarbeiterin des französischen Gesundheitsministeriums, 1938 Entwicklung von Richtlinien für Untersuchungsstationen gegen Kindertuberkulose; 1938 Berufung durch das türkische Unterrichtsministeriums an die Akademie der Schönen Künste Istanbul, bis 1940 Planung von Frauenberufsschulen und Dorfschulen, Mitarbeit am Aufbau der Parteigruppe der KPÖ in Istanbul; Dezember 1940 im Auftrag des KPÖ-Auslandsapparates über Zagreb nach Wien, Zusammenarbeit mit Erwin Puschmann, 22. Jänner 1941 kurz vor der geplanten Rückkehr nach Istanbul Verhaftung durch die Gestapo, 22.9.1942 VGH-Urteil 15 Jahre Zuchthaus, bis Kriegsende im Frauengefängnis Aichach; 1946-47 Gründung und Leitung der Abteilung für Kinderbauten bei der Stadtbaudirektion Sofia. Ab 1947 selbständige Architektin in Wien, Bauaufträge der Stadt Wien für Kindergärten und Wohnungen; 1947 mit ihrem Mann Beteiligung an der Ausstellung „Wien baut auf“ im Rathaus; 1948 architektonisches Konzept für die Ausstellung „Wien 1848“; Gestaltung der österreichischen Abteilung des Weltbundes demokratischer Frauen in Paris; 1947-48 Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der politisch Verfolgten (KZ-Verband), 1948 Mitgründerin, bis 1969 Präsidentin, nach Rücktritt Ehrenpräsidentin „Bund Demokratischer Frauen“ (BDF); bis 1977 Vorstandsmitglied des „Österreichischen Friedensrats“, seitdem Ehrenmitglied, Vorstandsmitglied „Österreichisches Komitee für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ Ende der 1970er Jahre gewannen ihre architektonischen Leistungen zunehmend an Bekanntheit.
Ausz., Mitglsch.: 1917 Teilnahme an einem Wettbewerb für Arbeiterwohnungen (Max Mauthner-Preis der Wiener Handels- und Gewerbekammer); 1917 Teilnahme an einem Wettbewerb für Arbeiterwohnungen (1. Preis); Lobmayr-Preis, 1922 Bronzene Medaille der Stadt Wien, 1923 Silberne Medaille der Stadt Wien, 1980 Preis der Stadt Wien für Architektur, 1985 Prechtl-Medaille der TU Wien, als Ziviltechnikerin; 1948 Mitgründerin und bis 1969 Präsidentin, nach Rücktritt Ehrenpräsidentin des BDF, 1992 Ehrendoktorwürde der TU Wien, 1989 TU Graz, 1992 TU München, 1993 Univ. Innsbruck. Bis 1977 Vorstandsmitglied Österreichischer Friedensrat, danach Ehrenmitglied; den in den 1980er Jahren zugesprochenen österreichischen Staatspreis für Wissenschaft und Kunst lehnte sie ab, da sie die Ehrungen aus den Händen des durch seine nationalsozialistische Vergangenheit schwer belasteten Bundespräsidenten Kurt Waldheim hätte entgegennehmen müssen; Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof, Margarete-Schütte-Lihotzky-Park, 1050 Wien, Margarete-Schütte-Lihotzky-Hof 1 210 Wien.
Werke
„Rationalisierung im Haushalt. In: Das neue Frankfurt. H. 5“ (1926/27), „Kindergärten im Ausland. (Detskie sady za rubezom). In: Architektura za rubezom. H. 5“ (1935), „Die sanitärtechnische Ausstattung der Wohnungen im Westen. (sanitarnotechniceskoe oborudovanic kvartir na Zapade). In: ebd., H. 3. und H. 4“ (1936), „Der 150. Kindergarten der Stadt Wien ‚Friedrich Wilhelm Fröbel‘. In: Der Aufbau, Jg. 8“ (1953), „Volkswohnbau. In: Zweck und Form“ (1981), „Arbeitsküche. In: Zweck und Form“ (1981), „Gedanken über Adolf Loos. In: Bauwelt, Bd. 72, Nr. 42“ (1981), „Erinnerungen an Josef Frank. In: Bauwelt, Bd. 76, Nr. 26“ (1985), „Meine Arbeit mit Ernst May in Frankfurt a. Main und Moskau. In: Bauwelt, Bd. 77, Nr. 28“ (1986), „Erinnerungen aus dem Widerstand. Das kämpferische Leben einer Architektin von 1938-1945. Hg. v. Irene Nierhaus“ (1994)
Literatur / Quellen
Qu.: DÖW, IfZ München; Tagblattarchiv (Personenmappe).
L.: Achleitner 1983, Achleitner 1990, Allmeyer-Beck/Haindl/Lindner/Zwingl 1992, ARGE Architektinnen und Ingenieurkonsulentinnen 1999, BLÖF, Friedl 2005, Georgeacopol-Winischhofer 2002, Noever 1993, Röder/Strauss 1980-83, Schürmann-Emanuely 2005, Tidl 1982, Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, www.dasrotewien.at