Schimanko Dora
Geb. Wien, 1932
Gest. Wien, 2020
Herkunft, Verwandtschaften: Urgroßvater: Max Schiff, jüdischer Kleinindustrieller, Inhaber der Firma Gaivapol; Urgroßmutter: Caroline Schiff, geb. Schlesinger – die beiden engagieren sich sozial (Ausspeisungen für die Armen, Gründung der „Wiener öffentlichen Küchen“ (WÖK) 1918); Onkel zweiten Grades: Sir Karl Popper (1902-1994), Philosoph; Großvater: Walter Schiff (1866-1950), Nationalökonom, Statistiker, Gründer und Leiter des Österreichischen Statistischen Zentralamtes, engagiert sich sozial („Wiener Settlement“ bringt Arme in Kontakt mit sog. Hochkultur, Mitbegründung eines öffentlichen Mädchenrealgymnasiums zur Förderung der Bildung junger Frauen, 1928-1934 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, ab 1934 Mitglied der illegalen KPÖ, 1930-1934 Vorsitzender des „Antikriegskomitees“ und Zweiter Präsident des „Bundes der Freunde der Sowjetunion“, 1933 führend im „Dimitroff-Komitee“ und für die „Rote Hilfe“ der KP); Großmutter: Alice Friederike Schiff, Cousine ihres Gatten (1872-1833); Tante: Grete Schiff (1899-1923), Lehrerin; Onkel: Wolfgang Schiff (1900-196?), Ingenieur; Tante: Univ. Prof. Dr. Katharina „Käthe“ Schiff, verh. Dornberger, verh. Boll (1909-1981), Physikerin und Kristallographin; Mutter: Gertrude „Gertrud“ Schiff (1901-1980), Violinistin, Mitglied der KPÖ; Vater: Gottlieb Kaldeck (1866-1941).
LebenspartnerInnen, Kinder: Heiratet Georg Schimanko (*1925); ein Sohn, eine Tochter, drei Enkelkinder.
Ausbildungen: Vorschule in Birmingham, Volksschule in London und Lockridge; Deutsche Reformschule in Oxford; besucht 4 Klassen lang das Gymnasium; Handelsschule, Gärtnerlehre, Gesellenprüfung.
Laufbahn: Aufgewachsen in einer wohlhabenden jüdischen Familie, deren Mitglieder sowohl durch künstlerische und musische Betätigungen als auch durch ihr soziales Engagement hervorstechen, ist D. S. schon früh von Gedanken der sozialen Gerechtigkeit beeinflusst. Aufgrund seines politischen Aktivismus wird der Großvater nach Februar 1934 aus allen beruflichen Ämtern entlassen; 1936 wird die Familie Schiff enteignet, die Familienwohnung bleibt jedoch bis 1938 wichtiger konspirativer Treffpunkt der illegalen Kommunisten und Revolutionären Sozialisten. Nach dem „Anschluss“ 1938 muss die Familie flüchten, und die erst sechsjährige D. S. wird im November mit einem Kindertransport zusammen mit rund 800 weiteren Kindern nach England geschickt. Der geliebte Großvater holt sie in London ab und schickt sie weiter zu ihrem Onkel in Birmingham, der bereits die britische Staatsbürgerschaft besitzt. Da sie kein Englisch spricht, muss sie hier mit vier- und fünfjährigen Kindern die Vorschule besuchen. Sechs Wochen später erreichen auch die Eltern Birmingham. D. S. zieht mit ihnen in den Nordwesten Londons, wo sie der Kulturschock trifft; die fremde Umgebung und die Sprachprobleme machen D. S. unglücklich, sie hat Probleme in der Schule. Noch vor dem Blitzkrieg wird sie zu einer alten Erzieherin aufs Land, nach Lockridge geschickt. Die Erzieherin hat zuvor adelige Kinder aufgezogen und wendet strenge Methoden an. D. S. wird zum ersten Mal mit strenger christlicher Religiosität konfrontiert und mit dem Rohrstab misshandelt, worunter sie schwer leidet. Die Eltern haben schon Fahrkarten in die USA, als D. plötzlich Masern bekommt und die Familie in England bleiben muss. Nun kommt D. S. zu ihrer Tante und deren Familie nach Oxford. D. S. entwickelt eine starke emotionale Bindung zu ihrer Ziehfamilie und wird auch noch im hohen Alter den Kontakt halten. Dank eines Stipendiums der Jüdischen Solidarität kann D. S. nun eine deutsche Reformschule besuchen, wo sie auf zahlreiche andere deutsche und österreichische Flüchtlinge trifft, Freundschaften knüpft und eine besonders gute Ausbildung genießt. In Lockridge war ihr verboten, deutsch zu sprechen, nun in Oxford verweigert sie sich lange Zeit der Sprache, da sie nicht auffallen will. Erst im Alter von 14 Jahren beginnt sie, die Sprache wieder zu erlernen. In den Ferien fährt sie nach London zur Mutter, die im Austrian Centre arbeitet. So kann sie die Gruppenabende der antifaschistischen Exil-Jugendorganisation „Young Austria“ besuchen, wo Hannah Fischer ihre erste Gruppenleiterin wird und D. S. an politischen Diskussionen teilnimmt und Kontakte knüpft. D. S. wird die Zeit in Oxford später als sehr glückliche beschreiben, und nach ihrer Rückkehr nach Österreich im Jahr 1946 ihre Ziehfamilie so oft wie möglich besuchen. Zurück in Wien, steht die Familie vor zahlreichen Problemen: Der Familienbesitz der Schiffs wird zwar von den US-Besatzern freigegeben, aber die Wohnung wird einem neuen Mieter zugesprochen, da er die Wohnung „in gutem Glauben“ erworben hat. Die obdachlos gewordene Familie bekommt keinerlei Unterstützung vom Staat und kann sich nur durch die Hilfe von Freunden durchschlagen. D. S. engagiert sich in der kommunistischen Bewegung „Freie Österreichische Jugend“ (FÖJ). Ihre Lehre in einer Gärtnerei schlägt fehl, da ihre Füße durch das Tragen zu kleiner Schuhe im Exil deformiert sind. Die Schullaufbahn wird deshalb mehrmals unterbrochen. Sie arbeitet später als Gärtnergehilfin und Sekretärin. Im Jahr 2002 werden ihr ein paar tausend Euro als Entschädigung für die Enteignung in der NS-Zeit zuerkannt. D. S. akzeptiert dieses Geld nur, um es an karitative Organisationen zu spenden. In ihrer Pension schreibt sie das Buch „Warum so und nicht anders“, in dem sie ihre Lebensgeschichte und die ihrer Familie aufarbeitet. D. S. ist bis ins hohe Alter politisch aktiv: Sie tritt als Zeitzeugin an die Öffentlichkeit (u. a. Vortrag bei „Young Austria im Gespräch“ September 2011; Diskussion in der Sendung Ö1 Campus im Webradio von Ö1 Oktober 2012; Rede bei der Feier zu Ute Bocks 70. Geburtstag am 23.7.2012; Podiumsdiskussion am Aktionstag Rassismusfreie Zone Leopoldstadt am 28.9.2012); außerdem engagiert sie sich in der KPÖ, im Verein „Politik Direkt in die Leopoldstadt“ (Poldi), im Aktionsradius Wien. Sie lebt heute in Wien-Leopoldstadt.
Werke
„Warum so und nicht anders. Die Schiffs: Eine Familie wird vorgestellt“ (2006)
Literatur / Quellen
Qu.: Video: „Dora Schimanko: Flucht nach England“ aus der Gesprächsreihe „Young Austria“ vom 9.11.2011 in der VHS Hietzing, auf youtube.com.
L.: Kittler 2007