Scheer-Schäzler, Brigitte
Amerikanistin, Literatur- und Kulturwissenschafterin und Frauenforscherin
B. Sch.-Sch. wurde am 17. März 1939 in Wien geboren, wo sie das Realgymnasium Wien XIX „Maria Regina“ besuchte. Bevor sie dort im Jahre 1957 mit Auszeichnung maturierte, verbrachte sie das Schuljahr 1955/56 in den USA. Sie war als Stipendiatin des American Field Service Schülerin an der Newton High School in Massachusetts. Dieser Amerika-Aufenthalt legte wohl den Grundstein für und weckte ihr Interesse an diesem Land und seiner Kultur. Zurück in Österreich, studierte sie die Fächer Anglistik und Germanistik an der Universität Wien, wo sie 1962 ihre Lehramtsprüfung in Englisch und Deutsch ablegte und zwei Jahre später zum Dr.phil. promoviert wurde.
Am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Salzburg begann ihre berufliche Karriere als Wissenschafterin, wo sie von 1966-1973 als Hochschulassistentin und Lehrbeauftragte tätig war. Ihre Assistenzzeit unterbrach sie für zwei Jahre für Forschungszwecke in den USA, an der Princeton und an der Rutgers Universität in New Jersey. Dieser Forschungsaufenthalt in Amerika wurde ihr durch ein Stipendium des American Council of Learned Societies ermöglicht und resultierte in ihrer Habilitation an der Salzburger Universität im Jahr 1972. Sie erwarb die Venia für „Neuere Englische Literatur und Amerikanistik“ und war somit die erste österreichische Wissenschafterin mit einer Habilitation aus Amerikanistik (s. Heller 34). Nachdem sie 1973 den Lehrstuhl für Englische Philologie/Amerikanistik der Universität Regensburg, BRD, vertreten hatte, wurde sie mit dem WS 1973/74 als Ordinaria an das Institut für Amerikanistik der Universität Innsbruck berufen, das sie nicht nur fast zwei Jahrzehnte als Vorstand leitete, sondern auch aufbaute. Dieses bislang bestenfalls den Instituten für Anglistik untergeordnete Fach der Amerikanistik in einem eigenen Institut zu etablieren, war eine Herausforderung, der sich B. Sch. mit Tatendrang und Pioniergeist stellte. Es galt, diesem sich von vornherein in seiner literatur- sowie kulturwissenschaftlichen Ausrichtung als interdisziplinäres Fach definierende und somit von den herkömmlichen Philologien abweichende wissenschaftliche Gebiet ein Fundament zu schaffen, auf dem es sich entwickeln und entfalten konnte, was B. Sch.-Sch. auch mit ihrem Einsatz und ihrer Ausdauer gelang. In den frühen 1970er Jahren gab es noch kaum Frauen im wissenschaftlichen Personal der Universitäten, und umso schwieriger gestaltete sich ihr Kampf um die Akzeptanz dieser relativ jungen wissenschaftlichen Disziplin. Der Respekt, das Vertrauen und die Anerkennung, die die junge Professorin bei ihren Kollegen erntete, schlug sich auch in ihrer Wahl zur Dekanin der Geisteswissenschaftlichen Fakultät in Innsbruck nieder. Als erste Frau, die ein solches Amt nicht nur an er Universität Innsbruck, sondern österreichweit innehatte, leitete sie die Geschicke der Fakultät von 1977 – 1979.
Die zeitgenössische amerikanische Prosa lag B. Sch.-Sch. von Anfang an am Herzen. So widmete sie sich in ihrer Dissertation sowie mehreren Artikeln dem in Kanada geborenen jüdisch-amerikanischen Schriftsteller Saul Bellow, und publizierte auch zu AutorInnen wie Ralph Ellison, Vladimir Nabokov, Joyce Carol Oates, und anderen. Mit ihrer 1972 veröffentlichten Monographie zu Saul Bellow war sie der Zeit voraus, denn der Autor erhielt vier Jahre später, im Jahr 1976, den Nobelpreis für Literatur. So wie sie schon bei Bellow mit neuen Interpretationsansätzen aufgewartet hatte, war B. Sch.-Sch. stets den neuen Trends in Thematik und Schreibweise auf der Spur, weshalb es ihr auch gelang, mit der Aktualität der zeitgenössischen amerikanischen Literatur und Kultur und ihrer persönlichen Begeisterung dafür, das Interesse und die Neugier der Studierenden zu wecken. Aber auch das hoch renommierte Salzburg Seminar nahm B. Sch.-Sch.s Pionierarbeit auf diesem Gebiet wahr und lud sie gleich mehrmals ein, deren American Studies Workshop im Team mit anderen international anerkannten wissenschaftlichen Kapazitäten zu leiten.
Mit enormem Engagement bemühte sich B. Sch.-Sch. immer, wissenschaftliches Neuland zu erforschen. Ihr besonderes Interesse galt der Frauenforschung, der Geschichte, Literatur und Kultur von Minoritäten, vor allem der asiatisch-amerikanischen Literatur, sowie der jüdischen Literatur der USA. Frauenstimmen der Vergangenheit (z. B. des viktorianischen Zeitalters) und der Gegenwart sowie aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen Gehör zu verleihen, war ihr ebenso ein Anliegen, wie die Position von Frauen insbesondere im universitären Bereich zu stärken. Als überzeugendes Vorbild wirkte sie stets motivierend und anspornend auf Ihre Kolleginnen. Vergessenen und wiederentdeckten, von feministischen Verlagen „wiederbelebten“ Autorinnen verschaffte sie sowohl in der Lehre als auch in diversen Publikationen Präsenz. Es gelang ihr zum Beispiel, die aus Indien stammende und in den USA zur großen anerkannten Schriftstellerin gewordene Bharati Mukherjee, über die sie auch mehrfach publizierte, zu Lesung und Vortrag mehr als einmal nach Innsbruck zu bringen sowie den Historiker und Experten für asiatisch-amerikanische Kultur, Roger Daniels, für eine Gastprofessur an ihrem Institut in Innsbruck zu gewinnen. Auch Ihab Hassan, der bedeutende Literaturkritiker, Kulturwissenschafter und Postmoderne-Spezialist, war durch B. Sch.-Sch. ein mehrmals und gern gesehener Gast in Innsbruck. Sie übersetzte auch sein Buch über die moderne amerikanische Literatur ins Deutsche. Aufgrund ihres besonderen Interesses in Forschung und Lehre an chinesisch-amerikanischer Literatur hatte sie auch mehrmals Gastprofessuren in der VR China inne, neben Gast- und Forschungsprofessuren in den USA.
B. Sch.-Sch. war außerdem Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien (AAAS, 1975), über mehrere Jahre aktives Mitglied der österreichisch-amerikanischen Erziehungskommission (Fulbright Commission), die sie auch zweimal als Chairperson leitete, und sie war Mitglied der Österreichischen UNESCO Kommission.
Seit 2006 ist sie emeritiert.
Werke
Bücher
A Taste for Metaphors. Die Bildersprache als Interpretationsgrundlage des modernen Romans, dargestellt an Saul Bellows Herzog. Moderne Sprachen, Schriftenreihe 11. Wien, 1968.
Saul Bellow. Frederick Ungar Publ. Co., New York, 1972.
Konstruktion als Gestaltung. Interpretation zum zeitgenössischen amerikanischen Roman. Salzburger Studien zur Anglistik und Amerikanistik 2. W. Braumüller, Wien, 1975.
Editionen
Nathaniel Hawthorne. Der Scharlachrote Buchstabe. (Kritische Ausgabe, Nachwort, Durchsicht der Übersetzung). Philipp Reclam Jun., Stuttgart, 1973.
Experimentelle amerikanische Prosa. Mit Einleitung. Philipp Reclam Jun., Stuttgart, 1977.
Forms of the American Imagination. Hg. Zusammen mit Sonja Bahn, Arno Heller, Sepp Tiefenthaler. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 44, Innsbruck, 1979.
Joyce Carol Oates. The Tryst/Der Treff. Drei Erzählungen. Englisch/Deutsch. Mit Nachwort. Philipp Reclam Jun., Stuttgart, 1982.
Her Own Story. Short Stories by Women from Different Cultures. Cornelsen, Berlin, 1991.
Women’s Fantastic Adventures. Stories by Contemporary Women Writers. Mit Einleitung und Glossar. Philipp Reclam Jun., Stuttgart, 1992.
Go West, Moses. Aufsätze zur jüdisch-amerikanischen Kultur und Literatur von Sepp L. Tiefenthaler. Crossroads. Studies in American Culture 6. Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier, 1993.
Suffering in Literature. Leiden in der Literatur. Memorial Volume for Sepp L. Tiefenthaler. Mitherausgeberin. Verlag des Instituts für Sprachwissenschaft, Innsbruck, 1994.
Wanting America. Stories by Bharati Mukherjee. Reclam, Stuttgart, 1995.
Immigrant Stories. New Fiction by New Writers. Cornelsen, Berlin, 1996.
Immigrant Stories. New Fiction by New Writers. Lehrheft. Cornelsen, Berlin, 1996.
Übersetzung
Ihab Hassan. Die moderne amerikanische Literatur. Eine Einführung. Mit Nachwort. Kröner, Stuttgart, 1974.
Artikel (Auswahl)
Zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften zu Anglistik, Amerikanistik und zu Vergleichender Literaturwissenschaft.
Die Farbe als dichterisches Gestaltungsmittel in den Romanen Saul Bellows. In: Sprachkunst 2, 1971, S. 243-264.
Aspekte der Raum-Zeitgestaltung in Ralph Ellisons Invisible Man. In: Revue des Langues Vivantes 38, 1972, S. 65-70.
Die Rhetorik der Gewalt. Zur Prosa von Joyce Carol Oates. In: Merkur 34.7, 1980, S. 721-727.
Saul Bellow and the Values of the Western World. In: Saul Bellow Journal 8.2 (Summer 1989), S. 1-13.
Nude Descending the Stairs: The Destruction and Creation of Female Identity in Estela P. Trambley’s ‚The Paris Gown’ and Arthur Schnitzler’s‚ Fräulein Else’. In: Gender, Self and Society. Proceedings of the IV International Conference on the Hispanic Cultures of the United States. Hg. v. Bardeleben, R.. Peter Lang, Frankfurt/Main, 1993. S. 113-122.
’The Soul at Risk’: Identity and Morality in the Multicultural World of Bharati Mukherjee. In: Zach, W. / Goodwin, K. L. (Hg.): Nationalism vs. Internationalism. (Inter)National Dimensions of Literatures in English. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 1996. S. 351-159.
’Silent Words’: Reflections on Animal Language in Contemporary American Fiction. In: Grabher, G. M. / Jeßner, U. (Hg.): Semnatics of Silences in Linguistics and Literature. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1996. S. 339-352.
Culture is Memory. Contemporary Asian American Fiction Writers as Archeologists of Knowledge. In: Georgoudaki, E. / Pastourmatzi, D.:Women, Creators of Culture. Hg. American Studies in Greece, Series 3. Thessaloniki: Hellenic Association of American Studies, 1997. S. 117-125.
Mehr als100 Rezensionen in Fach- und Bibliothekszeitschriften
Literatur / Quellen
Gespräche mit und Unterlagen von Brigitte Scheer-Schäzler.
Grabher , G. M. / Bahn-Coblans, S. (Hg.) in cooperation with / unter Zusammenarbeit mit Institut für Amerikanistik der Universität Innsbruck: The Self at Risk in English Literatures and Other Landscapes. Honoring Brigitte Scheer-Schäzler on the Occasion of Her 60th Birthday. / Das Risiko Selbst in der englischsprachigen Literatur zu Ehren von Brigitte Scheer-Schäzler anlässlich ihres 60. Geburtstages. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft Bd. 29. Verlag des Instituts für Sprachwissenschaft, Innsbruck, 1999, insbesondere „Einleitung: Würdigung der Jubilarin“ von G.M.G., ix-xi.
Heller, A.: „Difficult Beginnings — Birth and Growth of American Studie sat the University of Innsbruck: A Personal Memory.“ In: Grabher, G. M. / Schwarz, C.: Innsbruck 50 Years of American Studies in Innsbruck: Past and Future.: Innsbruck University Press, 2009. S. 27-41.