Saurer Edith

* 20.8.1942, Wien, † 5.4.2011, Wien
Historikerin

1960 bis 1966 Studium der Geschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft an der Universität Wien; Promotion 1966; danach zweijähriger Forschungsaufenthalt als Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Rom; ab 1970 zunächst Assistentin, nach der Habilitation (1983) Universitätsdozentin, 1992 bis 2008 Professorin für Neuere Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Wien; dort Vorständin 2006/07; Trägerin des Käthe-Leichter-Staatspreises (1991), des Gabriele-Possanner-Staatspreises (1997) und Inhaberin des Goldenen Ehrenkreuzes der Stadt Wien (2010); Stifterin des „Edith Saurer Fonds zur Förderung geschichtswissenschaftlicher Projekte“; verheiratet mit dem bildenden Künstler Erwin Thorn (1930 bis 2012).

E. S. gilt als Doyenne der österreichischen Frauen- und Geschlechtergeschichte. Sie hatte wesentlichen Einfluss auf die Verankerung und Internationalisierung dieses Faches an der Universität Wien und initiierte sowohl am Institut für Geschichte als auch fakultätsübergreifend eine Fülle von einschlägigen Aktivitäten, Projekten, Vernetzungen und Schwerpunkten: So gründete sie gemeinsam mit Heide Dienst, Helene Maimann und Herta Nagl-Docekal 1982 die „Arbeitsgruppe Frauengeschichte“ (später „Arbeitsgruppe Frauen- und Geschlechtergeschichte“), die unter ihrer langjährigen Leitung u. a. zahlreiche Veranstaltungen wie Kolloquien und Workshops organisierte. Die heute umfangreiche F-Abteilung der Fachbibliothek für Geschichtswissenschaften mit einschlägiger Forschungsliteratur geht ebenso auf die Initiative von E. S. zurück wie die Einrichtung der Käthe-Leichter-Gastprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung und verschiedene Studienprogramme in diesem Bereich. Sie hat selbst, beginnend mit einem Proseminar „Zur Geschichte des Frauenwahlrechts: die Suffragetten“ schon im Jahr 1975, zahlreiche Lehrveranstaltungen dazu abgehalten und eine große Zahl von einschlägigen Diplomarbeiten und Dissertationen betreut. Jüngeren Forscherinnen und Forschern nicht nur im Feld der Frauen- und Geschlechtergeschichte stand sie zudem durch zahlreiche von ihr geleitete Forschungsprojekte zur Seite.

Ihre Arbeit in den diversen universitären Gremien nutzte E. S. immer auch für das Bemühen, die Akzeptanz der Frauen- und Geschlechterforschung durchzusetzen und zu erhöhen. Sie war in den 1990er Jahren führend an der „Initiative zur Förderung der Frauenforschung und ihrer Verankerung in der Lehre an der Universität Wien“ beteiligt, aus der die „Interuniversitäre Koordinationsstelle für Frauenforschung“ (aktuell „Referat Genderforschung“) hervorging. Von 1993 bis 2000 war sie Vorsitzende der Kommission der Interuniversitären Koordinationsstelle für Frauenforschung Wien, von 1995 bis 1997 und 2004 Gleichbehandlungsbeauftragte an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Auch die Gründung des heute international renommierten Fachperiodikums „L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft“ im Jahr 1990 geht maßgeblich auf E. S. zurück. Von Österreich ausgehend, war ihr die stete Weiterentwicklung dieser Zeitschrift im Kontext des sich stark verändernden europäischen Wissenschaftsgefüges ein besonderes Anliegen; ab 1996 arbeitete sie dafür, unterstützt von ihrer damaligen Assistentin Christa Hämmerle und wechselnden Redakteurinnen der Zeitschrift, auch eng mit Weggefährtinnen wie Ute Gerhard, Karin Hausen und Regina Schulte zusammen, die u. a. dem Herausgeberinnengremium beitraten. Aktuell gehören der Zeitschrift „L’Homme“ 19 Wissenschaftlerinnen aus acht europäischen Ländern an; sie wird zudem durch die beiden Buchreihen, „L’Homme Schriften“ (seit 1995) und „L’Homme Archiv“ (seit 2003) erweitert. Ebenfalls von E. S. gegründet wurde die „Sammlung Frauennachlässe“, deren Grundstock 1990 im Anschluss an eine 1989 gezeigte Ausstellung „Wer wählt, gewinnt? 70 Jahre Frauenwahlrecht“ gelegt wurde. Die Sammlung, in der auto/biographische Dokumente wie Tagebücher, Briefe, Haushaltsbücher, Fotografien etc. (vorwiegend) von Frauen, die in keiner prominenten Öffentlichkeit standen, archiviert werden, ist heute am Institut für Geschichte der Universität Wien etabliert und hat im gesamten deutschsprachigen Raum inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal inne.

Seit 2006 leitete E. S. gemeinsam mit Christa Hämmerle die Forschungsplattform „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“ (2006 bis 2012), in deren Rahmen die Zeitschrift „L’Homme. Z. F. G.“ und die „Sammlung Frauennachlässe“ weiter professionalisiert wurden und, neben anderen Projekten, das Internetforum „Salon 21“ eingerichtet wurde. Die hier u. a. lancierte Debatte zur Frage „Is a European Women’s History possible?“ zeigt einmal mehr, wie konsequent E. S. aktuelle Fragen der wissenschaftlichen Disziplin aufgegriffen und in länderübergreifende Kommunikation eingebracht und eingebunden hat. Fachlich-disziplinäre Grenzüberschreitungen waren ihr zeitlebens ebenso wichtig wie internationale Vernetzungen. Dabei war sie insbesondere auch Italien und der neuen italienischen Geschichtsschreibung eng verbunden. Sie gehörte u. a. der Vereinigung italienischer Historikerinnen (SIS) und seit 1993 dem Dozent/innen/kollegium eines nationalen, später internationalen Doktorand/innen/programms zur Frauen- und Geschlechtergeschichte an, das von der Universität Neapel koordiniert wurde. Dort war sie 1991 als Gastprofessorin tätig, 1998 und 2003 auch am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, an den Universitäten Bielefeld (1987) und Leipzig (1993).

Die von E. S. bearbeiteten wissenschaftlichen Themen sind sehr vielfältig und haben viele neue Fragestellungen erschlossen: In ihrer Dissertation „Die politischen Aspekte der Bischofsernennungen in der Habsburgermonarchie 1867–1903“ (veröffentlicht 1968) setzte sie sich mit dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat auseinander. Die 1983 abgeschlossene und 1989 publizierte Habilitationsschrift „Straße, Schmuggel, Lottospiel. Materielle Kultur und Staat in Niederösterreich, Böhmen und Lombardo-Venetien im frühen 19. Jahrhundert“ handelt von der Geschichte materieller Kulturen, Grenzen, Steuern und Kriminalität und ist stark von anthropologischen Zugängen beeinflusst, um Sozial-, Kultur- und Institutionengeschichte in Beziehung zueinander zu setzen. Auch später griff E. S. das Thema „Grenze“ mehrfach auf: u. a. in Zusammenhang mit ihren Studien zum Passwesen und der Geschichte der Staatsbürgerschaft in Österreich oder mit den Themen „Ehre und Scham“ und (historischer wie aktueller) Abschiebung und Migration.

Wie die Frauen- und Geschlechtergeschichte war die Historische Anthropologie demnach Grundlage von E. S.s Forschungsansatz. Sie wirkte von Beginn an als Herausgeberin der 1993 gegründeten Zeitschrift „Historische Anthropologie“ und hat an der Schnittstelle beider Teildisziplinen etwa auch zum Themenkomplex „Religion und Geschlecht“ gearbeitet: Ihr Interesse galt dabei beispielsweise dem Verhältnis von Frauen und Priestern im Kontext von Beichtgesprächen, Gebetbüchern für Frauen, Konversionen wie auch staatlichen und kirchlichen Eheverboten. Sie beschäftigte sich zudem mit „Verwandtschaft“ und – über viele Jahre hinweg – mit den Relationen von „Liebe und Arbeit“ in der europäischen Geschichte der Neuzeit.

Als Forscherin wie als Universitätslehrerin widmete sich E. S. regelmäßig auch politisch und zeitgeschichtlich brisanten Themen und hat stets die Verantwortung der Historiker/innen für die Aufarbeitung der NS-Zeit und der Geschichte der Verfolgten eingemahnt. Für die Wahrung demokratischer Rechte ist sie immer wieder auch öffentlich eingetreten, u. a. im Rahmen ihres Engagements im Republikanischen Club – Neues Österreich.

Der berufliche und wissenschaftliche Nachlass von E. S. wird im Archiv der Universität Wien bewahrt, Teile ihres persönlichen sowie des Familien-Nachlasses in der „Sammlung Frauennachlässe“ am Institut für Geschichte. Die ersten Stipendien des von ihr gestifteten „Edith Saurer Fonds zur Förderung geschichtswissenschaftlicher Projekte“ an der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien (Institut zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und der Arbeiterkammern) wurden 2013 ausgeschrieben.

Werke

Eine umfassende Aufstellung der von Edith Saurer verfassten oder herausgegebenen Publikationen findet sich auf der Website: www.edithsaurerfonds.at/edith-saurer/publikationen/ (1. März 2014)
Insgesamt hat Edith Saurer zwei Monographien veröffentlicht, 16 Sammelbände (erschienen zwischen 1984 und 2013) und 22 Zeitschriftenhefte (erschienen zwischen 1984 und 2010) (mit-)herausgegeben sowie 81 Artikel (erschienen zwischen 1969 und 2012) verfasst. Ihre Texte wurden auf Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch und Tschechisch übersetzt. Die von ihr nicht fertig gestellte Monographie „Liebe und Arbeit. Geschlechterbeziehungen im 19. Und 20. Jahrhundert“ wurde im April 2014 von Margareth Lanzinger posthum herausgegeben.

Literatur / Quellen

Nachruf der Forschungsplattform der Universität Wien „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“, veröffentlicht unter: http://medienportal.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/medienportal/uni_view/PDF/Nachruf_Edith-Saurer_PDF.pdf (1. März 2014)
www.edithsaurerfonds.at/ (1. März 2014)
Hämmerle, Ch. / Hauch, G.: „Auch die österreichische Frauenforschung sollte Wege der Beteiligung finden …“ Zur Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien. In: Reflexive Innenansichten aus der Universität Wien – Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Hg. v. Fröschl, K. A. / Müller, G. / Olechowski, Th. / Schmidt-Lauber, B. (= 650 Jahre Universität Wien. Aufbruch ins neue Jahrhundert, Band 4), Wien 2015, S. 97-109.

BiografieautorIn:

Christa Hämmerle & Li Gerhalter