Rossi Hedwig, geb. Braun, Kanner-Rossi; Schriftstellerin und Literaturwissenschafterin

Geb. Wien, 29.5.1891

Gest. South Nyack, New York, USA, 25.10.1985

Herkunft, Verwandtschaften: Wuchs im 13. Bezirk auf; Mutter: Hermine Braun (geb. Altmann), las im Freundeskreis Gedichte und Novellen vor (starb 1912 an Tuberkulose); Vater: Berthold Braun, Ingenieur bei der österreichischen Eisenbahn (Mosocz, Ungarn-1940, Wien), später Hofrat; ein Bruder Gustav, zwei Schwestern, der Bruder überlebte den 2. Weltkrieg in Wien, eine Schwester, Gerti Zentner, emigriert nach GB.

LebenspartnerInnen, Kinder: Seit Juni 1915 kirchlich verheiratet mit Dr. Oswald Rossi, Lehrer der Wiener Handelsakademie, seine Familie stammt aus Italien, war protestantischer Konfession, lebte in der zweiten Generation in Wien; die Ehe galt nach 1938 nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Mischehe“; H. R. arbeitete in der Emigration zuerst als Dozent für moderne Sprachen am Hobart College, New York, dann am Ferris State College in Big Rapids, Michigan, als Lehrer für Spanisch und Psychologie. (gest. 1978); Sohn Harald, Physiker (1917-2000).

Ausbildungen: Besuchte das Gymnasium der Eugenie Schwarzwald, legte die Matura ab, studierte zunächst Gesang an der Musikhochschule, das sie auf Wunsch des Vaters abbrach, wechselte zur Germanistik und Philosophie, Dissertation über den Einfluss des Darwinismus auf die Ethik, 1922 Promotion; ein Angebot auf eine Assistentenstelle mit Aussicht auf Habilitation schlug sie aus.

Laufbahn: H. R. veröffentlichte schon in den frühen 1920er Jahren Gedichte. Als erstes Theaterstück wurde das Künstlerdrama „Sieben Jahre und ein Tag“ 1924 am Stadttheater in Wien aufgeführt. In den folgenden Jahren schrieb sie weitere Dramen, Radiohörspiele sowie Erzählungen und fand erste öffentliche Beachtung. Ihren größten künstlerischen Erfolg vor dem Exil hatte sie mit ihrem Voltaire-Stück „Der Fall Calas“. Nach der Aufführung des Stücks konnte sie in Wien nicht mehr ungefährdet arbeiten, waren doch die Zeitbezüge, Voltaire als Verkörperung der Aufklärung, und die Verfolgung der Hugenotten als Parallele zur Ausrottung der Juden in Deutschland, offensichtlich. Ihre Entscheidung zur Emigration wurde, so lässt sich aus den Dokumenten im Nachlass schließen, von der Sorge um die Zukunft ihres Sohnes und von der Tätigkeit als Schriftführerin der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ beeinflusst. Im März 1939 emigrierte sie zuerst nach Großbritannien. Dabei wurde sie von der Organisation „Gildemeester“, die in Wien eine Auswanderungshilfsaktion für als Juden verfolgte Christen in Leben gerufen hatte, unterstützt und wohnte die meiste Zeit bei einer Familie in Bristol. Nachdem Oswald Rossi eine Stelle als Dozent für moderne Sprachen am Hobart College, New York angenommen hatte, ließ er seine Frau im Sommer 1939 nachkommen. Dort bemühte sie sich zuerst um eine Lehrtätigkeit im Theaterfach an der dortigen Highschool und begann daneben, ihre Stücke zu übersetzen und für das amerikanische Theater zu adaptieren. Die Eheleute waren zeitweise auf den zusätzlichen Verdienst H. R.s angewiesen und so musste sie immer wieder Schreiben und Broterwerb miteinander verbinden. Das Ehepaar zog für zwei Jahre nach Baltimore, wo ihr Sohn inzwischen lebte. Dort produzierte sie einige ihrer Stücke für den Playshop der John Hopkins University. 1946 erhielten beide Lehraufträge am Ferris State College in Big Rapids, Michigan. Sie lehrte dort dramatische Rede, Deutsch und Literatur. Etwas später gründete sie das Ferris Little Theater, später Ferris Playhouse, wo sie viele ihrer Theaterstücke produzierte. Als erstes eigenes Schauspiel brachte sie dort „Vienna Legend“, die Übersetzung von „Legende am Donaukanal“ heraus, das eines der meistgespieltesten Stücke von ihr im Exil wurde. In der Form des Volksstücks geschrieben, nimmt sie das Thema Exil, getarnt im Stoff von armen Leuten, die in der Nähe des Donaukanals leben, auf. 1956 ging das Ehepaar nach South Nyack, New York, um in der Nähe ihres Sohnes zu wohnen. In dieser Zeit widmete sie sich fast gänzlich dem Schreiben und gab Kurse in „Creative Writing“. Nach dem Tod ihres Mannes 1978 begann sie mit dem Schreiben eines umfangreichen Romans in zwei für sich abgeschlossenen Teilen, der bisher nicht veröffentlicht wurde. Erzählt wird die Lebensgeschichte des Ehepaars Sybil und Robert Gersuni in Wien bis 1938, dann in der Emigration – die Romane sind stark autobiografisch gefärbt. Schrieb Dramen, Radiohörspiele, Erzählungen. Sie pflegte mit Friedrich Wilhelm Förster, Thomas Mann und Arnold Schönberg zu korrespondieren.

Ausz.: Für „No Final Defeat“ Auszeichnung der American Educational Theatre Association; 1934 Julius-Reich-Preis.

Qu.: Nachlass im Deutschen Exil Archiv (DEA) in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/M., enthält den umfangreichen Briefwechsel sowie zahlreiche veröffentlichte und unveröffentlichte Manuskripte, u. a. Brief an Gerti Zentner vom 17.6.1942, Brief an Paul Hinrichs vom 19.1.1963, Brief von Thomas Mann an H. R. vom 6.5.1940, Der Fall Calas, Ein Spiel in 3 Akten; Brief an Thomas Mann vom 23.1.1940, Brief an Gerti Zentner vom 17.9.1940, Brief von Oswald R. an Georg-Marton-Verlag in Wien, Legende am Donaukanal (1934).

W.: „Das Mädchen Kaja. (A Girl Called Kaja)“ (1949)

Theaterstücke: „Sieben Jahre und ein Tag. Künstlerdrama“ (Uraufgeführt 1924 am Stadttheater in Wien. In den Wiener Tageszeitungen überwiegend wohlwollend besprochen), „Die Legende vom Donaukanal. Ein Spiel in drei Akten“ (1934. Als „Vienna Legend“ am Ferris Playhouse in Big Rapids, Michigan, uraufgeführt. Maschinell vervielfältigt“, „No final defeat. A play in three acts“ (1958, distributed by the Manuscript Play Project, Baylor University Theater“, „My father’s mantle: a play in three acts (eight scenes)“ (1958), „Love in A Cupboard. (Schauspiel über Kierkegaard)“ (1967 vom BBC produziert mit Glenda Jackson in der Hauptrolle)

L.: Bolbecher/Kaiser 2000, Walter 2000b

 

Susanne Blumesberger