Richter Elise; Romanistin

Geb. Wien, 2.3.1865

Gest. KZ Theresienstadt, Deutsches Reich (Terezin, Tschechien), 21.6.1943

Herkunft, Verwandtschaften: Mutter: Emmy Lakenbacher; Vater: Maximilian Richter (†1891), Chefarzt der Südbahn; Schwester: Helene Richter (1862-1942), Anglistin. E. R. lebte mit ihrer Schwester Helene ab 1896 in einem nach E. R.s Plänen erbauten Haus in Wien 19.

Freundschaften: Eine Freundin war die Mediävistin Helene Adolf (*1895). Eine weitere Freundin war Hedwig Kuranda, die ab 1939 in Oxford lebte und wahrscheinlich an dem Angebot an beide Schwestern, nach Großbritannien zu emigrieren, beteiligt war.

Ausbildungen: Trotz des gebildeten und relativ fortschrittlichen Elternhauses bleibt sie im Kampf um Lehrbücher und höhere Bildung gegen die Eltern nur mit Mühe erfolgreich. Privatunterricht gemeinsam mit ihrer Schwester, ab 1891 Gasthörerin an der Universität Wien, 1897 Matura als Externe am Akademischen Gymnasium Wien, 1897 unter den ersten in Wien immatrikulierten Studentinnen, Inskription von klassischer Philologie, Indogermanistik, Germanistik und Romanistik; Promotion zum Dr.phil. 1901, erster weiblicher Doktor im Bereich der Romanistik an der Universität Wien.

Laufbahn: E. R. habilitiert sich 1905 und wird 1907 Universitätsdozentin. 1921 erhält sie als erste Frau Österreichs (und Deutschlands) die außerordentliche Titularprofessur (ao. Univ.-Prof.). 1922 gründete E. R. auf Aufforderung der International Federation of University Women den Verband der Akademikerinnen Österreichs und ist von 1922 bis 1930 dessen Vorsitzende. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit setzte sie den Schwerpunkt auf formale Probleme der Syntax und Etymologie in der Romanistik. Im Bereich der Phonetik und Phonologie machte sie das psychologische Geschehen bewusst. Ihre Publikationen trugen auch der Lehre Rechnung. E. R. unternahm weite Reisen durch Europa und Nordafrika. 1935 verweigert ihr das Ministerium die ordentliche Professur. Nach dem März 1938 erhält sie, als Jüdin, Vorlesungsverbot und Bibliotheksverbot. Die Lehrbefugnis wird ihr entzogen. Sie lebt ohne Einkünfte in Not und Entbehrung und ist auf unregelmäßige Zahlungen der International Federation of University Women angewiesen. Einige wenige Rezensionen und Aufsätze konnte sie in Italien, Holland und Buenos Aires publizieren. Am 12. März 1942 mussten die Schwestern ihre Wohnung verlassen, sie zogen in das Jüdische Altersheim Wien 9, Seegasse. Am 9. Oktober 1942 wird E. R. gemeinsam mit ihrer Schwester mit dem 45. Transport ins KZ Theresienstadt deportiert.

spez. Wirkungsbereich: Soweit E. R. sich mit vergleichender romanistischer Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte befasste, nahm sie eine Vermittlerrolle ein zwischen der Wiener romanistischen Tradition und Neuerungsbestrebungen. Erst in den 1970er Jahren, vor allem durch die Bibliographie Benjamins M. Woodbridge und der Herausgabe ihrer Schriften wurde ihr Werk zugänglicher. Das Interesse der Nachwelt galt mehr ihrem Schicksal als Jüdin an der Universität als ihren wissenschaftlichen Leistungen.

Ausz., Mitglsch.: Mitglied der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Reliefporträt am Institut für Romanistik der Universität Wien; Verkehrsflächenbenennung 1210 Wien, „Elise-Richter-Weg“, seit 2008.

Qu.: WStLb; Handschriftensammlung der ÖNB; DÖW, UA Wien. Autobiografischer Text mit Porträtbild in: Führende Frauen Europas. In sechzehn Selbstschilderungen.. Hg. v. Elga Kern. Ernst Reinhardt Verlag, München 1928, S. 70-93.

W. u. a.: „Zur Entwicklung der romanischen Wortstellung aus der lateinischen“ (1903), „ AB im Romanischen“ (1904), „Die Rolle der Semantik in der historischen Grammatik. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 2“ (1910), „Lautbildungslehre. Einführung in die Phonetik“ (1922), „Über Homonymie, Beiträge zur griechischen und lateinischen Sprachforschung. Festschrift für Paul Kretschmer.“ (1926), „Impressionismus, Expressionismus und Grammatik. In: Zeitschrift für romanische Philologie 47“ (1927), „Über die Reihenfolge der Organeinstellungen beim Sprechen In: Volkstum und Kultur der Romanen 3“ (1930), „Die Entwicklung des Neuesten Französischen“ (1933), „Studien zum altfranzösischen Alexiusliede. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 57“ (1933), „Grundsätzliche Erklärungen und Nachträge zur Chronologischen Phonetik. In: Zeitschrift für romanische Philologie 56“ (1936), „Das psychische Geschehen und die Artikulation. In: Archives néerlandaises de phonétique expérimentale 13“ (1937), „Unterbewußte Vorgänge im Sprachleben. In: Mélanges de linguistique offerts a Charles Bally“ (1939), „Die italienischen c und s Laute. Untersuchung an umgekehrt laufenden Schallplatten. In: Archives néerlandaises de phonétique expérimentale 16“ (1940), „Der Stammausgleich der ablautenden französischen Verben. In: Archivum Romanicum 25“ (1941), „Kleinere Schriften zur allgemeinen und romanischen Sprachwissenschaft. Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Yakov Malkiel. Mit einer Bibliographie von B. M. Woodbridge, Jr. Gesamtredaktion: Wolfgang Meid“ (1977), „Summe des Lebens. Hg. Verband der Akademikerinnen Österreichs“ (1997)

L.: BLÖF, Braun/Fürth/Hönig 1930, Christmann 1980, Elsen 2004, Forkl 1968, Hoffrath 2008, Kanduth 2002, Kerschbaumer 1980, Lerch 1925, ÖBL, ÖNB 2002, Raggam-Blesch 2012, Spitzer 1947-48, Woodbridge 26, www.aeiou.at, www.onb.ac.at/ariadne/