Rauscha Julie, geb. Haiden Julia; Arbeiterin und Nationalrätin
Geb. Wiener Neustadt, NÖ, 7.4.1878
Gest. Wiener Neustadt, NÖ, 19.2.1926
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Schlosser, zeitweise in der Wiener Neustädter Lokomotivfabrik beschäftigt, gewerkschaftlich im seit 1870 bestehenden Fachverein der Schlosser in Wiener Neustadt organisiert, deswegen öfters arbeitslos, 1883 von „Bürgersöhnen“ erschlagen, der Prozessausgang konzidierte, dass es „irrtümlich“ geschehen wäre, die Familie und die Genossen nahmen aber an, dass es ein politischer Racheakt gewesen ist; Mutter: Heimarbeiterin; zweitjüngste von vier Kindern, aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, was den Ausbruch von TBC begünstigte; J. musste durch Strümpfestricken und als Haushaltshilfe nach der Schule zum Unterhalt beitragen.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1900 Heirat mit dem Dreher Robert Rauscha (*1874), organisierter Sozialdemokrat, Mitbegründer und Kassier des Konsumvereins Wiener Neustadt, heiratete 1928 ein zweites Mal; 2 Töchter: Anna (*1899); Julia (*1903), Anna wurde römisch-katholisch getauft, Julia nicht. Anna arbeitete als „Städtische Hilfsbeamtin“ und heiratete 1924 den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Siegmund Reichard. Sie bekamen zwei Söhne und emigrierten Ende März 1939 nach Schweden. Julia war Beamtin in Wiener Neustadt.
Ausbildungen: Volksschule, Bürgerschule.
Laufbahn: Haushaltshilfe, mit 15 Jahren Arbeiterin in der Drahtstiftfabrik Burkhardt, nach einem missglückten Streik verließ sie die Fabrik und wurde Heimarbeiterin; 1894 Beitritt zum 1891 gegründeten Wiener Neustädter Arbeiterfortbildungsverein, der 1896 aufgelöst wurde und im Sozialdemokratischen Wahlverein Wiener Neustadt aufging, jeden Sonntag wurden Kurse in Schreiben, Stenographie und Handarbeiten veranstaltet, Vorträge mit Diskussion abgehalten, aber auch gefeiert und getanzt. Wie Adelheid Popp in ihrer Grabrede resümierte, hatte sie 18 Jahre die erste Funktion im seit 1903 bestehenden Zentralverein der Heimarbeiterinnen inne, der Verein wurde 1911 aufgelöst und in die neugebildete sozialdemokratische Frauenorganisation übergeführt; erstmals Delegierte der Wiener Neustädter Bezirksorganisation beim Gesamtparteitag 1913, Teilnahme an allen Parteitagen der Ersten Republik, ebenso Delegierte der den Parteitagen vorausgehenden Frauenkonferenzen; im 1. Weltkrieg Arbeiterin in der Munitionsfabrik Wöllersdorf, der größten Munitionsfabrik der Monarchie, unter anderem auch deshalb, um die Arbeitsbedingungen in der Kriegsindustrie für Antiagitationszwecke kennenzulernen, die darüber verfassten Materialien wurden jedoch konfisziert; Mitglied des Gemeinderates von Wiener Neustadt 1918-1926, seit 1919 Vertretung der Frauen der Wiener Neustädter Kreisorganisation im Landesparteivorstand von Wien und Niederösterreich, nach der Trennung von Wien und Niederösterreich Wahl zur Vorsitzenden des Landesfrauenkomitees der SdP Niederösterreich, mit ihrem Mann Mitbegründerin des Konsumvereins Wiener Neustadt; 1919 für Wiener Neustadt in die Konstituierende Nationalversammlung gewählt, Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung SdP 5.6.1919-9.11.1920, Abgeordnete zum Nationalrat (I.-II. GP) SdP 10.11.1920-19.2.1926. In den Nachrufen wurde J. R. als „Gründerin“ der Frauenorganisation in Wiener Neustadt bezeichnet. Im Nationalrat engagierte sie sich neben Frauenfragen vorwiegend in sozialen Angelegenheiten ihres Wahlkreises. Sie meldete sich nicht oft zu Wort, was aber nicht auf Schüchternheit beruhte. Dies bewies sie in ihrer Wortmeldung anlässlich der von Olga Rudel-Zeynek eingebrachten Gesetzesvorlage zu Unterhaltszahlungen unehelicher Väter.
Mitglsch.: Gemeinsam mit der deutschnationalen Bertha Merstallinger und der christlichsozialen Rosina Koschi als erste Frauen Einzug in den Wiener Neustädter Gemeinderat.
Qu.: Magistrat der Stadt Wiener Neustadt, Historisches Meldearchiv, Tagblattarchiv (Personenmappe).
L.: Die Abgeordneten 1975, Flanner, Hahn 1989, Hauch 1995, Parlamentarierinnen, Pasteur 1986, Der freie Genossenschafter 1.3.1926, Die Unzufriedene 10.11.1923, 6.3.1926, Gleichheit 26.2.1926