Radzyner Tamar, geb. Fajwlowitz, Ps. Helene Fawel; Schriftstellerin
Geb. Lodz, Polen, 31.3.1932
Gest. Wien, 7.6.1991
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Textilkaufmann in Lodz; Mutter: Pianistin. Vier Schwestern, ein Bruder.
LebenspartnerInnen, Kinder: Heirat mit Viktor Niutek Radzyner, in Lodz Anführer der Ghetto-Widerstandsbewegung gegen Chaim Rumkowksi („Suppenaufstand“). Töchter: Joana (*1954), Journalistin; Olga (1957-1999), Nationalökonomin.
Laufbahn: T. R. wird im Februar 1940 zusammen mit ihrer Familie in das Ghetto von Lodz eingewiesen, wo sie Mitglied einer antifaschistischen Jugendorganisation ist. Als die verbliebenen Insassen des Ghettos Lodz 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert werden, kann die 12-jährige T. dem Giftgas als Arbeitssklavin entgehen. Nachdem sie das KZ Auschwitz überlebt hat, kommt sie u. a. nach Stutthof, im Frühjahr 1945 gelingt ihr die Flucht aus dem KZ Flossenburg in die CSR. Ihre Eltern und vier ihrer fünf Geschwister sind jedoch bereits von den Nationalsozialisten ermordet worden. Im Nachkriegspolen ist sie, vermutlich nach Abschluss ihrer Schulausbildung, als Funktionärin des kommunistischen Jugendverbandes in Lodz und für die Jugendzeitung „Standar Mlodych“ tätig, später ist sie Vizechefredakteurin von „Do okola Swiata“. Daneben studiert sie Polinistik. Im Jahr 1954 heiratet sie Viktor Niutek Radzyner (*1930 in Lodz). Im selben Jahr kommt ihre Tochter Joana (Asia) zur Welt, 1957 dann Olga. Als der Antisemitismus in Polen immer stärker zunimmt, stellt das Ehepaar 1957 den Ausreiseantrag. T. R. darf als Jüdin nicht mehr in der Partei aufrücken; sie arbeitet in einer Fabrik, in der Kunstblumen hergestellt werden. Viktor, der sogar Abgeordneter des polnischen Parlaments gewesen ist, stürzt ins gesellschaftliche Nichts. Im September 1959 dürfen die Radzyners endlich nach Wien ausreisen. Viktors in Wien lebende Familienangehörige unterstützen sie. Unter dem Druck der Exilsituation und auch von Seiten des wohlhabenden Großvaters, der einen Wäschereibetrieb mit mehreren Filialen besitzt, wird Viktor Niutek Radzyner schließlich Kaufmann. T. R. hingegen beginnt ein Medizinstudium an der Universität Wien, das sie aber aus finanziellen Gründen abbrechen muss. T. R. versucht, ihre jüdische Identität geheimzuhalten; beim Schuster gibt sie sich als „Frau Bauer“ aus, und ihre Töchter dürfen im Lycée francais nicht sagen, dass sie Juden sind.
T. R. hatte schon in polnischer Sprache geschrieben, ab etwa 1964 in Wien schreibt sie auch auf Deutsch − vorwiegend Gedichte, Chansontexte und Theaterstücke. Während die in polnischer Sprache verfassten Texte durch und durch hochsprachlich sind, fehlt den deutschsprachigen Texten die profunde Kenntnis der Grammatik und der deutschsprachigen Literatur. Die Vertrautheit mit dem Jiddischen und T. R.s Ohr für die Phraseologie jedoch haben ihr beim Schreiben sehr geholfen. In den 1970er Jahren arbeitet sie (oft auch unter dem Synonym Helene Fawel) an etlichen Programmen von Topsy Küppers und Georg Kreisler mit, Kreisler und Heinz Hruza vertonen einige ihrer Texte. Sie stirbt im Jahr 1991 an Krebs, ihr Mann verliert den Lebenswillen und stirbt ein halbes Jahr darauf.
W.: „Gem. m. St. Rotenberg: Meine wahre Heimat. My True Homeland. Gedichte Dt./Engl.“ (1999)
L.: Bolbecher/Kaiser 2000, Kaiser 2003