Niebuhr Elly, eigentl. Elly Prager-Mandowsky; Fotografin
Geb. Wien, 25.3.1914
E. N. hieß eigentlich Elly Prager-Mandowsky, den Nachnamen Niebuhr nahm sie erst nach ihrer Heirat an. Sie behielt ihn auch nach der Scheidung.
E. N. war Fotografin in Wien und New York. Nach ihrer Flucht 1938 arbeitete sie in New York als Porträtfotografin, ab 1947 lebte sie wieder in Wien. Zunächst war sie Zeitungsfotografin, dann – zwischen Ende der 1950 bis Ende der 80er Jahre – war sie eine bekannte Modefotografin.
Herkunft, Verwandtschaften: E. N. wurde am 25. März 1914 als ältere von zwei Töchtern (die jüngere Tochter hieß Ilse) in Wien geboren. Ihr Vater, Erich Prager-Mandowsky, geb. am 8. Jänner 1876 in Hultschmi (Schlesien), war Kaufmann. Ihre Mutter, Paula Prager-Mandowsky, geb. am 11. Dezember 1884 in Linz, war um die Jahrhundertwende nach Wien gezogen. Beide Eltern waren jüdischer Herkunft, die Mutter, eine musisch begabte Frau, stammte aus einer orthodoxen jüdischen Familie. Die Familie führte in ihrer Wohnung, in der Paniglgasse im vierten Wiener Gemeindebezirk, ein einigermaßen bürgerliches Leben. Man leistete sich eine Hausangestellte.
Laufbahn: E. N. wuchs in einem weit liberaleren Umfeld als ihre Eltern auf. Auf Drängen ihrer Eltern stellte sie ihre künstlerischen Interessen zunächst zurück und wandte sich einer handfesten, praktischen Berufsausbildung zu. Von 1933 bis 1935 absolvierte sie einen Ausbildungskurs in der „Gewerblichen Privatanstalt für Miedernähen, Schnittzeichnen und Zuschneiden“ sowie eine Lehre im „Mieder-Salon“ von Alice Schallinger in der Mariahilferstraße 45. Aber schon bald ging sie ihre eigenen beruflichen Wege. Im Sommersemester 1935 inskribierte sie sich in Physik und Chemie an der Universität Wien. Nach drei Semestern, sie war inzwischen 22 Jahre alt, wandte sie sich einer zweiten Berufsausbildung zu: der Fotografie. Sie beginnt eine Lehre im bekannten Wiener Atelier von Hella (Helene) Katz. Katz, geb. am 20. September 1899 als Tochter einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Lemberg, war in den Wirren des Ersten Weltkrieges nach Wien gekommen, hatte hier 1920 die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt abgeschlossen, 1922 den Gewerbeschein erworben und am 30. März 1925 ein Atelier am Stubenring 18 eröffnet. E. N. begann ihre Lehrzeit bei Katz am 10. November 1936 und belegte parallel zu ihrer praktischen Fotoausbildung auch die vorgeschriebenen Kurse an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. Im Atelier von Hella Katz war E. N. vor allem mit der Porträtfotografie beschäftigt. Privat entstanden daneben ganz andere Aufnahmen. Die ersten erhaltenen Fotos, die sie ab Sommer 1937 machte, sind Sozialreportagen. Sie fotografierte die Errungenschaften des (inzwischen politisch unterdrückten) „Roten Wien“: Kindergärten, Kinderspitäler, Familienasyle und Gemeindebauten, die bis 1933 erbaut wurden, u. a. den Karl Marx-Hof in Wien-Heiligenstadt. E. N. fotografiert aber auch den Wiener Alltag, Straßenszenen oder das populäre Leben im Prater.
Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten war E. N. gezwungen, im Frühjahr 1938 die Graphische- Lehr- und Versuchsanstalt ohne Abschluss zu verlassen. Am 1. Juli 1938, ein Jahr früher als vorgesehen, beendete sie auch die praktische Ausbildung bei Hella Katz. Im Februar 1939 flüchteten die beiden Schwestern E. und Ilse nach London, ihre Eltern blieben in Wien zurück und wurden am 12. Juni 1942 aus Wien deportiert. Ihre Spuren verlieren sich in Budapest.
Im Frühsommer 1940 reisten die beiden Schwestern in die USA weiter. Es gelang E. N. relativ rasch, beruflich Fuß zu fassen. Sie arbeitete in mehreren Fotoateliers, zuletzt war sie fünf Jahre lang im Fotostudio Lorstan am Times Square tätig. Hier hatte sie Serienporträts nach dem gängigen Publikumsgeschmack herzustellen. Kulturellen, sozialen und politischen Anschluss fand E. N. im Kreis kommunistischer Flüchtlinge aus Österreich, die sich im „Austro-American Citizen’s Committee“ zusammengeschlossen hatten. Hier lernte sie auch ihren künftigen Mann, Hans Niebuhr kennen, einen gebürtigen Wiener, der vor der Flucht als Matrose in Hamburg gelebt hatte, und der als Gewerkschafter und ehemaliger Spanienkämpfer politisch aktiv war. Die Ehe ging nach wenigen Jahren auseinander.
Im Juni 1947 kehrte E. N., die ihren Nachnamen Niebuhr behielt, nach Wien zurück und bewegte sich auch in Wien im Umkreis kommunistischer Freunde. Sie heiratete 1950 ein zweites Mal. Peter Gellert war ein Journalist, der 1939 ebenfalls nach England geflüchtet war. Auch diese Beziehung zerbrach nach wenigen Jahren. Ende der 1940er Jahre, E. N. hatte inzwischen einen Sohn, begann sie wieder mit der Fotografie. Zunächst machte sie kleine Reportagen, die sie v. a. linken Zeitungen anbot. Dann, ab Ende der 1950er Jahre, wandte sie sich der Modefotografie zu. Am 6. Juli 1957 erschienen ihre ersten Modefotos in der „Wiener Bilderwoche“, für die sie in den folgenden Jahren regelmäßig fotografierte. Später erschienen ihre Modeaufnahmen auch in anderen Tages- und Wochenzeitungen, etwa im „Express“, im „Kurier“, im „Neuen Österreich“, in der „Presse“, der „Kronenzeitung“, aber auch in den Österreich-Beilagen der deutschen Illustrierten wie „Brigitte“ und „Für Sie“. Daneben arbeitete sie für Kataloge, Plakate und Modeschauen, für Inserate und Aussendungen.
E. N. arbeitete für die bekanntesten Wiener Modesalons wie Adlmüller, Farnhammer. Höchsmann, Faschingbauer, Henrrik, Havas und Dobyhal, aber auch für Pelzhäuser wie Foggensteiner, Liska u. a. Nach dem Niedergang dieser Salons in den 1960er Jahren arbeitete sie auch für große Wiener Kaufhäuser, für Mode-, Schmuck- und Textilfirmen. Allmählich erweiterte sie ihr thematisches Repertoire. Neben der Mode machte sie auch Werbeaufnahmen für führende Wiener Firmen. Sie fotografierte Geschirr ebenso wie Möbel, Reinigungsmittel, Frisuren, Haushaltsgeräte, Kücheneinrichtungen und Teppiche.
In ihren Bildern bewegt sich E. N. geschickt zwischen gehobener Haute Couture und massentauglicher Werbung. Sie gab der Konsumkultur der Wiener Nachkriegszeit ein Gesicht. Als Fotografin wollte sie nicht Künstlerin sein, sondern Handwerkerin. Ihre Sammlung von Fotografien ist ein wichtiges Dokument der Populärkultur.
Anton Holzer