Mitterer Erika, Emmy, verh. Petrowsky; Schriftstellerin, Dramatikerin und Lyrikerin

Geb. Wien, 30.3.1906
Gest. Wien, 14.10.2001

Herkunft, Verwandtschaften: E. M. stammt aus einer evangelischen Familie, ein Großvater war jüdischer Herkunft. Die Mutter Antonie „Töne“ geb. Loeb, war eine Malerin aus westdeutscher jüdischer Familie. Sie starb 1930. Der Vater Hofrat Rudolf Mitterer war Architekt im ehemaligen Eisenbahnministerium.

LebenspartnerInnen, Kinder: Heiratete 1937 Dr. Fritz Petrowsky (1996 gestorben), Jurist und Archivar der „Presse“; drei Kinder: Christiane Tagunoff, geb. 1938, Martin G. Petrowsky, geb. 1942 (gab mit Petra Sela das lyrische Gesamtwerk der Dichterin heraus) und Stefan, geb. 1947.

Freundschaften: Stefan Zweig nannte sie eine „große Dichterin“. Sie war befreundet mit Felix Braun, Theodor Kramer, Ernst Lissauer, Paula von Preradovich, Hans Carossa, Michael Guttenbrunner, Alma Holgersen, eine Zeit lang, bis sie sich dem Nationalsozialismus zuwandte auch mit Ina Seidel. Sie stand 1934-1926 mit Rainer Maria Rilke in Briefverkehr („Briefwechsel in Gedichten“, 1950), der sie ermutigte zu schreiben.

Ausbildungen: Besuchte 1912-1923 die Volks- und Bürgerschule der Lehrerinnenbildungsanstalt und das Privatlyzeum Luithlen, absolvierte 1923-1925 Fachkurse für „Volkspflege“ bei Ilse Arlt.

Laufbahn: Sie begann mit zehn Jahren zu schreiben um innere Spannungen abzubauen. E. M. führte als 18jährige einen Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke, der erst 1950 veröffentlicht wurde. 1926 war sie als Säuglingsfürsorgerin in Tirol tätig, 1928 als Fürsorgerin im Burgenland. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Fürsorgerin schrieb sie den unveröffentlicht gebliebenen Roman „Wie man Kinder zu Außenseiter der Gesellschaft macht“. 1927 begann sie ein Philosophiestudium in Heidelberg und lernte Stefan Zweig kennen, 1928 studierte sie in Paris. 1929/30 war sie Sekretärin des Kulturbundes Wien. Nach dem Tod der Mutter führte sie ihrem Vater die Wirtschaft. Seit 1930 veröffentlichte sie literarische Arbeiten. 1935 wird der Druck von „Wir sind allein“ eingestellt, weil sie sich weigert, einen sympathischen jüdischen Arzt zu „arisieren“. Bis 1937 Arbeit als Fürsorgerin in Burgenland und Tirol; während des Dritten Reiches Mitarbeit an der Wochenzeitung „Das Innere Reich“, die mehrfach verboten wurde. Sie lebte ab 1940 in Kritzendorf bei Wien. 1945 kam es zur Wiederbegründung des Schriftstellerverbandes. Sie trat 1965 zum Katholizismus über, engagierte sich mehrere Jahre für einen jugendlichen Mörder, arbeitete ab 1965 in der neugegründeten Telefonseelsorge mit. 1982/83 hielt sie Vorlesungen in den USA. In den letzten Jahren veröffentlichte sie vor allem in der „Furche“, in der auch oft Rezensionen ihrer Werke erschienen sind, Gedichte. Ab 1987 lebte sie in einem Altersheim in Ober St. Veit. Ihre Werke wurden später der „inneren Emigration“ zugeordnet. „Der Fürst der Welt“ durfte 1940 erscheinen, weil er von der Zeit der Inquisition handelte und von den Nazis als Angriff auf die Katholische Kirche gesehen wurde. Viktor Matejka las diesen Roman im KZ Dachau und meinte darüber: „Ihr ‚Fürst der Welt‘ war für mich und meine Freunde eine Art gezielter Widerstand. Erst Rezensenten der norwegischen Ausgabe verstanden das Buch als Kritik an Hitler und unterbanden sofort jegliche Papierzufuhr.“ Sie war Mitarbeiterin zahlreicher Anthologien, Zeitschriften und Zeitungen.

Ausz., Mitgliedschaften: 1930 Julius-Reich-Preis für ihr erstes Buch „Dank des Lebens“, 1948 Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur, 1971 Enrica-von-Handel-Mazzetti-Preis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst und der oberösterreichischen Landesregierung, 1974 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1985 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1992 Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur, 1994 Würdigungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur, 1996 Großes Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. 1938 Mitglied der Reichsschrifttumskammer, Mitglied des österreichischen PEN-Klubs, Mitglied des österreichischen Schriftstellerverbandes. Austritt aus beiden 1984. Ab 2000 wieder Mitglied des PEN-Clubs. 1985 Aufnahme in die Kurie für Kunst. Seit 1924 mit Rainer Maria Rilke bekannt, „Briefwechsel in Gedichten“ Am 8.8.2002 wurde eine Erika-Mitterer-Gesellschaft gegründet. 2003 wurde eine Verkehrsfläche in Hietzing nach ihr benannt (Erika-Mitterer-Weg). Am 30.3.2005 wurde am Haus Wien 4, Rainergasse 4 eine Gedenktafel enthüllt.

Wirkung: „In ihrem ersten Roman ,Wir sind allein‘, im Wien der 1920er Jahre angesiedelt, skizziert sie ein von Massenarbeitslosigkeit, Inflation sowie Fremden- und Judenhass dominiertes Klima und benennt damit jene Faktoren, die unmittelbar mit der Vorgeschichte des aufkeimenden Nationalsozialismus verbunden sind.“ (Dür, S. 12). In mehreren ihrer Werke setzte sie sich mit dem Krieg und der NS-Diktatur auseinander. „Der Fürst der Welt“, als Kirchengeschichte getarnt, ist als Parabel auf jegliche Form totalitärer Systeme zu lesen und wurde im KZ Dachau als eine Art gezielter Widerstand empfohlen, wie Viktor Matejka nach dem Zweien Weltkrieg berichtete. (Dür, 2006, S. 73) In „Alle unsere Spiele“ setzte sie sich direkt mit dem Dritten Reich auseinander. Dieses Buch richtete sie gezielt an jüngere Leser um einer Pauschalverurteilung entgegenzuwirken.

Qu.: Dokumentationsstelle für neuere österr. Literatur: Mappe mit Zeitungsartikeln/Rezensionen und von ihr verfasster Lebenslauf, Tagblattarchiv (Personenmappe); Teilnachlass: Deutsches Literaturarchiv Marbach; DB NS-Lit. Graz. Brief an Hilde Spiel im ÖLA/ÖNB.

W. u. a.: „Dank des Lebens. Gedichte“ (1930), „Charlotte Corday. Drama in vier Aufzügen“ (1931), „Höhensonne. Roman“ (1933), „ Gesang der Wandernden. Neue Gedichte“ (1935), „Der Fürst der Welt. Roman“ (1940), „Begegnung im Süden. Erzählung“ (1941), „Die Seherin. Eine Erzählung“ (1942), „Wir sind allein. Ein Roman zwischen zwei Seiten“ (1945), „Zwölf Gedichte. 1933-1945“ (1946), „Briefwechsel in Gedichten mit Rainer Maria Rilke. 1924-1926“ (1950 =Aus Rainer Maria Rilkes Nachlass 2), „Die nackte Wahrheit“ (1951), „Wasser des Lebens. Roman“ (1953), „Gesammelte Gedichte“ (1956), „Tauschzentrale. Roman“ (1958), „Kleine Damengröße. Ein Roman im Schatten der Jugend“ (1953), „Die Welt ist reich und voll Gefahr“ (1964), „Weihnacht der Einsamen. Erzählungen und Gedichte“ (1968 =Die kleinen Bücher der Arche 486, 487), „Klopfsignale. Gedichte“ (1970), „Entsühnung des Kain. Neue Gedichte“ (1974 =Kriterien 34), „Alle unsere Spiele. Roman“ (1977), „Gedichte“ (1984), „Das verhüllte Kreuz. Neue Gedichte“ (1985), „‚Sie gehören doch auch zu uns‘. Zwischen Protest, Mitfühlen und Anpassung. Eine Schriftstellerin erinnert sich an 1938. In: Die Presse, 30./31.1.1988“, „Bibelgedichte“ (1994), „Sela, Petra/Petrowsky, Martin G. (Hg.): Das gesamte lyrische Werk. 3 Bde.“ (2001), „ Sela, Petra/Petrowsky, Martin G. (Hg.): Dramen I“ (2001), „Dramen II“ (2002), „Dramen III“ (2003), „Sela, Petra/Petrowsky, Martin G. (Hg.): Kehr nie zurück. Griechische Gedichte“ (2004)

L.: Auer 1990, Binder 1968, Bolbecher/Kaiser 2000, Bruckmann 2001, Dür 2006, Dür 2006a, Friedrich 2001, Johns 1986, Mayr 1992, ÖNB 2002, Österreichische Gesellschaft für Literatur 2002, Petrowsky 2001, Pichler 1955, Rollett 1964, Ruiss 1995, Ruiss 2001, Schmid-Bortenschlager/Schnedl-Bubenicek 1982, Schmidt 1964, Schmölzer 1982, Stock 1995, www.onb.ac.at/ariadne/

Susanne Blumesberger