Maimann, Helene

* 1947 in Wien
Historikerin, Filme- und Ausstellungsmacherin

H. M., geboren in Wien, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Wien, wo sie als Studienassistentin am Institut für Geschichte tätig war. Im Jahr 1975 wurde ihre Dissertation unter dem Titel „Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938-1945“ publiziert. Ab 1980 unterrichtete sie als Lektorin an den Universitäten Wien und Salzburg und als Gastprofessorin an der Technischen Universität Wien.
Nach einem Jahr am „Institut Mouvement Social“ in Paris wurde sie bis 1990 Leiterin des Projektteams Geschichte der Arbeiterbewegung am Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung der Universität Linz. Danach wechselte sie als Redakteurin zum ORF, wo sie die Verantwortung für die Dokumentarfilm-Sendeleisten „Nightwatch“, „Brennpunkt“ und „DOKUmente“ übernahm. Seit dem Studienjahr 2008 lehrt H. M. an der Filmakademie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 2011 erhielt sie den Karl-Renner-Publizistikpreis, 2013 wurde sie mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet.

Die Historikerin H. M., die sich seit Anfang der 1970er Jahre des brisanten zeithistorischen Themas der österreichischen Exilpolitik angenommen hatte, veränderte ihren Fokus danach zunächst in Richtung Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur. In den 1980er Jahren entstanden unter ihrer Leitung einige bedeutende Ausstellungen. 1981 wurde anlässlich des 70. Geburtstages von Bruno Kreisky eine Großausstellung über die Arbeiterkulturbewegung in der Ersten Republik mit dem Titel „Mit uns zieht die neue Zeit“ in der vom Architekten Rolf Geyling geplanten Meidlinger Koppreiter-Remise eröffnet, mit einem schon durch seine Ortswahl neuen, für Ausstellungen ungewöhnlichen Konzept. Bereits damals bezog sie neue Medien mit ein und erhielt dafür den Victor Adler-Staatspreis für Geschichte sozialer Bewegungen. Auch die Ausstellung im Jahr 1984 „Die Kälte des Februar. Österreich 1933 – 1938“, die den Bürgerkrieg 1934 und seine Folgen zum Inhalt hatte, wurde in die Koppreiter-Remise gebaut. 1985 folgte eine Ausstellung über die Geschichte der Zweiten Republik mit dem Titel „Der Zug der Zeit. Österreichische Zeitgeschichte 1945-1985“ in einen Eisenbahnzug, als Wanderausstellung durch ganz Österreich geführt. 1985 wurde „Drei Tage im Mai. Wien 1945 – 1955 − 1965“ im Wiener Messepalast, den heutigen Hallen A, E und G im Museumsquartier realisiert. „Die ersten hundert Jahre. Österreichische Sozialdemokratie 1888-1988“, eine Ausstellung in einem der drei Simmeringer Gasometer, rundet die Serie der Großausstellungen zur Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie und der Zweiten Republik ab. Bis auf „Drei Tage im Mai“, die von den Wiener Festwochen in Auftrag gegeben wurden, erschienen für alle diese Ausstellungen Kataloge und Begleitbücher, die H. M. herausgab. 2005 kuratierte M. im Rahmen des „Gedankenjahrs“ die Bereiche „Nationalsozialismus“ und „Exil“ im Rahmen der Republikausstellung „Das neue Österreich“ im Belvedere.

Mit und aus diesen umfangreichen Arbeiten, in deren Mittelpunkt die Vermittlung von Geschichte in die Öffentlichkeit stand, entwickelte sich H. M.s Interesse, das mit dem Begriff der Applied History zu ihrem Tätigkeits- und Forschungsbereich sowie zu ihrem Markenzeichen werden sollte. Wie ist Geschichte in und mit den unterschiedlichen Medien darstellbar? Ihre weitere berufliche Karriere lotete diese Möglichkeiten eingehend aus. H. M. publizierte, verfasste Radiosendungen und drehte Dokumentarfilme. Immer wieder handelte es sich dabei um Themen der Zeitgeschichte, der Mentalitätsgeschichte, des Exils und der jüdischen Identitäten. Biographien stehen damit immer wieder im Zentrum ihrer Arbeit.
Ihr hier vermitteltes Geschichtsverständnis entspricht einem facettenreichen Bild, sie lotet in ihren Arbeiten die Grenze von dem, was als Fakt angesehen wird, hin zur Fiktion aus und regt mit ihren Narrativen zu neuen Verständnissen über Geschichte an. Sie bringt Kino als Konstrukteur und Dekonstrukteur von Geschichte ins Gespräch. Im Sinne Hayden White’s Vorstellung von Geschichtsschreibung als multimedialen Diskurs plädiert H. M. für das Entwickeln neuer Sprach- und Bildwelten, in denen Kunst und Wissenschaft ineinander fließen dürfen. „Kein ‚wahres’ Bild weit und breit, sondern Gleichzeitigkeiten, Widersprüche, Ambivalenzen, in allen Disziplinen.“ Sie setzt einen Kontrapunkt zu Bisherigem: „Ich möchte dies als eine weibliche Form des Zugangs zu den Wirklichkeiten unserer Welt bezeichnen: die Auseinandersetzung mit den vielen Narrativen und kulturökonomischen, sozialhistorischen, feministischen Diskursen, die heute mit unterschiedlichen Medien erzeugt, vernetzt und weltweit kommuniziert werden und geschichtsmächtig werden können.“ (Maimann 2013, S. 128)

Werke

Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938-1945. Böhlau, Wien, Köln, Graz, 1975.
Gandhi oder Möglichkeiten und Grenzen der Gewaltfreiheit. In: Gewalt und Gewaltlosigkeit. Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 4, Wien, 1977, S. 237-253.
Zur Frauen- und Familienideologie des Nationalsozialismus. In: Justiz und Zeitgeschichte, Bd. 3, Wien, 1977, S. 53-67.
Der März 1938 als Wendepunkt im sozialdemokratischen Anschlussdenken. In: Konrad, H. (Hg.): Sozialdemokratie und „Anschluss“. Europaverlag, Wien, München, Zürich, 1978, S. 63-70.
Was ist so interessant am Alltag? In: Alltag in Wien seit 1848. Katalog der Ausstellung. Österreichisches gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, Wien,1979, S. 7-14.
Exil als Lebensform. In: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1979, Wien, 1980, S. 9-58.
Sprachlosigkeit. Ein zentrales Phänomen der Exilerfahrung. In: Frühwald, W. / Schied, W. (Hg.): Leben im Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933-1945. Hoffmann und Campe, Hamburg 1981, S. 31-38.
„Asiatische Produktionsweise“. Zur Geschichte einer Kontroverse. In: Europäisierung der Erde? Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 7, Wien, 1980, S. 272-292.
Technischer Wandel – sozialer Wandel. Das Beispiel Haushalt. Teilstudie des gleichnamigen Forschungsprojekts. IFZ Wien, 1980.
Schwester Restituta. Versuch über eine Unbequeme. Festschrift Herbert Steiner. Europaverlag, Wien, München, Zürich, 1983, S. 201-216.
Fra Delirio di Guerra e Desiderio di Pace. La vita quotidiana in Austria. In: Leoni, D. / Zadra, C. (Hg.): La Grande Guerra. Esperienze, Memorie, Immagini. Il Mulino, Bologna ,1986. S. 245-259.
Views of Austrian Exiles on the Future of Europe. In: Lipgens, W. / Loth, W. (Hg.): Documents on the History of European Integration 2. De Gruyter, Berlin/ New York, 1986, S. 629-650.
Ungleichheitsforschung in Österreich 1918 – 1978. Ein Überblick. In: Schuster, E. (Hg.): Thema: Ungleichheit. Verlag Sozialwissenschaftliche Vereinigung, Linz, 1986, S. 21-50.
„Glück und Segen früh und spat/ Schenkt dir Nudleggs Automat“. Zur Technisierung des Haushalts. In: Unterkircher, L. / Wagner, I. (Hg.): Die andere Hälfte der Gesellschaft. ÖGB-Verlag, Wien, 1987, S. 442-452.
Die Rückkehr beschäftigt uns ständig. Vom Flüchten und vom Wiederkommen. In: Maimann, H. (Hg): Die ersten hundert Jahre. Österreichische Sozialdemokratie 1888 – 1988. Christian Brandtstätter Verlag, Wien, 1988, S. 235-242.
Kontroverse ja – Bewältigung nein. In: Botz, G. / Sprengnagel, G. (Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Campus, Frankfurt/Main, New York, 1994, S. 421-427.
Vergangenheit, die nicht vergeht. In: Düriegl, G./ Frodl, G. (Hg.), Das Neue Österreich. Böhlau, Wien, Köln, Graz, 2005. S. 79-87. Der Katalog erschien in deutsch, englisch, französisch und russisch.
Zeit des Schweigens. In: Maimann, H. (Hg): Was bleibt. Schreiben im Gedankenjahr. Czernin 2005, S. 176-184.
Über Kreisky. In: Maimann, H. (Hg): Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe. Falter, 2011, S. 15-23.
1941. Es gibt nur das Leben. In: Berger, H. / Dejnega, M. / Fritz, R. / Prenninger, A. (Hg.): Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Festschrift für Gerhard Botz. Böhlau, Wien, Köln, Weimar, 2011, S. 23-34.
Gefillte Fisch und Lebensstrudel. Eine jüdische Kochshow. Picus, Wien, 2012.
Der Pariser Nullmeridian oder Die Neuvermessung der Politik. In: Just, Th. / Maderthaner, W. / Maimann, H.: Der Wiener Kongress. Die Erfindung Europas. Carl Gerold’s Sohn 2014, S. 36-57.
Die amerikanische Verwandlung. In: Loewy, H. (Hg), Jukebox Jewkbox. Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack & Vinyl. Ausstellungskatalog. Bucher, 2014. S. 46-56. Der Text erschien unter dem Titel „The American Transformation“ in der englischsprachigen Ausgabe des Katalogs.

Gem. mit Ardelt, R.: Geschichte – eine Sozialwissenschaft? In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 5/ 1977, S. 13-19.
Bemerkungen zu einer Geschichte des Arbeiteralltags. In: Botz, G. / Hautmann, H. / Konrad, H. / Weidenholzer, J. (Hg.): Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte. Europaverlag, Wien, München, Zürich, 1978. S. 599-628.
Gem. mit Kohoutek, R.: Exotik des Alltags? Zur Konjunktur eines Begriffs. In: Kremeyer, N. / Scherzinger, B. / Koch, G. / Brandes, V. (Hg.): Heute schon gelebt? Alltag und Utopie. Verlag 2000, Offenbach, 1981, S. 73-91.
Geschichts-Bilder. Zum Verhältnis von Geschichte und Bild-Medien. In: Geschichte als demokratischer Auftrag. Festschrift Rudolf Stadler. Europaverlag, Wien, München, Zürich, 1983. S. 277-300.
Arbeitswelt und Arbeiterbewegung in Ausstellungen. In: Faulenbach, B. (Hg.): Geschichte der Arbeit im Museum. Dokumentation einer Tagung im Rahmen der Ruhrfestspiele Recklinghausen. 11.-13- Mai 1987. Forschungsinstitut für Arbeiterbildung, Recklinghausen, 1987, S. 88-96.
Geschichte im Simulator. Zum Problem der Vermittlung von Geschichte in Film und Ausstellung. In: ITH-Tagungsberichte 24, Wien, 1988, S. 318-327.
Der Geist aus der Flasche oder Über den Exorzismus des Vergangenen. Über öffentliche Rollenzuweisungen an die österreichische Geschichtsforschung. Dramolett in vier Akten und einem Intermezzo. In: Fallend, K. / Handlbauer, B. / Kienreich, W. (Hg.): Der Einmarsch in die Psyche. Psychoanalyse, Psychologie und Psychiatrie im Nationalsozialismus und die Folgen. Junius, Wien, 1989 S. 11-23.
Das wahre Bild oder Klio ist eine Muse. In: Ellmeier, A. / Ingrisch, D. / Walkensteiner-Preschl, C. (Hg.): Ratio und Intuition. Wissen/s/Kulturen in Musik*Theater*Film. Böhlau, Wien, Köln, Weimar, 2013, S. 117-129.

Mit uns zieht die neue Zeit. Arbeiterkultur in Österreich 1918 – 1934. Ausstellungskatalog. Habarta & Habarta,Wien, 1981.
Gem. mit Mattl, S.: Die Kälte des Februar. Österreich 1933 – 1938. Ausstellungsbuch. Junius, Wien, 1984.
Die ersten hundert Jahre. Österreichische Sozialdemokratie 1888 – 1988. Ausstellungsbuch. Christian Brandstätter, Wien, 1988.
Was bleibt. Schreiben im Gedankenjahr. Czernin, Wien, 2005.
Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe. Falter, Wien, 2011.
Der Wiener Kongress. Die Erfindung Europas (Hg.gem. mit: Just, Th. / Maderthaner, W.) Konzeption, Bildredaktion.

1994: Uncle Sam und Bruder Wanja. Das Erbe der Befreiung Europas
1998: Ein Stern fällt. Die Joseph Schmidt-Story
1999: Freuds Welt
2000: Das Jahrhundert der Frauen
2000: Kreisky. Licht und Schatten einer Ära (gem. mit P. Lendvai)
2003: Ich atme, singe, lache und weine
2004: Gefährliche Himmel. Der Bombenkrieg über Österreich
2005: Die Sterne verlöschen nicht. Überleben im Versteck
2007: Gefillte Fisch und Baba Ganusch. Eine jüdische Koch-Show
2008: Hannes Androsch. Ein politisches Porträt
2008: Himmlische Lust und koscherer Sex Oder Was Sie schon immer über Liebe und Ehe bei den Juden wissen wollten
2009: Bar Mizwa heißt erwachsen werden
2010: Fasten. Eine Reise ins Freie
2011: Bruno Kreisky. Politik und Leidenschaft
2011: Kreisky über Kreisky
2011: Massel und Schlamassel. Über den jüdischen Witz
2012: Die Zeit die uns bleibt
2012/13: Arik Brauer. Eine Jugend in Wien
2014: Arik Brauer. Eine Jugend in Wien (Kinofassung)
2015: Der Riss der Zeit. Die Vertreibung von Intelligenz und Kultur 1933 – 1945
2016: Käthe Leichter. Eine Frau wie diese

Wiederaufbauen heißt Bessermachen. In: Ziak, K. (Red.): Wiedergeburt einer Weltstadt. Wien 1945 – 1965. Verlag für Jugend und Volk, Wien, 1965.

Literatur / Quellen

BiografieautorIn:

Doris Ingrisch