Kurth Betty, geb. Kris Bettina Dorothea, Ps. Vera; Kunsthistorikerin und Schriftstellerin
Geb. Wien, 5.10.1878
Gest. Turnbridge b. London, Großbritannien, 12.11.1948
Herkunft, Verwandtschaften: Tochter eines Wiener Anwalts; Cousin: Ernst Kris (1900-1957), Kunsthistoriker und Psychoanalytiker.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1904 Heirat mit dem Anwalt und Archäologen Peter Paul Kurth (†1924). Tochter: Gertrud (1904-1999), Psychoanalytikerin.
Ausbildungen: 1907 Reifeprüfung; ab 1904 außerordentliche Hörerin an der Universität Wien, 1907-11 Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie; erste Kunstgeschichte-Studentin an der Universität Wien, Diss. 1911 („Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient. Ersch. in: Jahrbuch des kunsthistorischen Institutes der k. k. Zentralkommission für Denkmalpflege, V, 1911, S. 9-104).
Laufbahn: B. K. thematisierte in ihrem unter Pseudonym veröffentlichten Buch ‚Eine für viele. Aus dem Tagebuche eines Mädchen‘ 1900 die sexuellen Nöte und Sehnsüchte und den Umgang eines jungen Mädchens mit der bürgerlichen Doppelmoral. Dieses Tagebuch löste die sogenannte ‚Vera-Debatte‘ aus, im Zuge derer eine Reihe von Gegenschriften erschienen, es galt außerhalb und auch z. T. innerhalb der Frauenbewegung als Skandal und erlebte in zwei Jahren sechs Auflagen.
Vor der Matura mehrere Jahre Sprachlehrerin (Deutsch, Französisch) in Weisers Sprachschule in der Wiedner Hauptstraße. Nach der Promotion Privatgelehrte und Dozentin an Volkshochschulen. B. K. machte sich vor allem mit Forschungen auf dem Gebiete des Mittelalters/Gotik, im speziellen gotische Tapisserien, einen Namen. Forschte in Österreich und Großbritannien, wo sie ab 1939 lebte und über mittelalterliche englische Kunst arbeitete. Veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten.
Johannes Feichtinger (Feichtinger 2001, S. 411f) beschreibt die schwierige Situation, in der sich die mit Hilfe der Society for the Protection of Science and Learning aus Österreich geflüchtete Kunsthistorikerin befand: „B. K. […] reiste im Mai 1939 ohne Chance auf eine entgeltliche Beschäftigung nach England. Ihre Versorgung war vorerst von seiten Dritter gesichert, und auch ihr Cousin Ernst W. Kris ließ ihr monatlich Taschengeld zukommen. Im Jahr 1940 kam mit Hans Tietze, der sein Stipendium zurückzahlte, das ihm das Akademikerhilfskomitee 1938 gewährt hatte, ein neuer Gönner hinzu: ‚She seems to be in utmost financial difficulties after her escape from Vienna last year.‘ Seit August 1940 gewährte das Akademikerhilfskomitee Kurth auf dieser Basis ein einjähriges Stipendium. Seither verfaßte sie für amerikanische Zeitschriften Abhandlungen über Bildteppiche und Stickereien. Dabei verblieb sie ständig im Umfeld des Warburg Instituts (von dessen Direktor sie als ‚first class scholar‘ unterstützt wurde). Beschäftigungsnischen, die ihr gesicherte Verhältnisse einbrachten, öffneten sich jedoch auch in der Folge nicht. Mitunter erhielt sie ein Honorar für Expertisen und Taschengeld von ihrer Tochter. Später bearbeitete sie für Kost und Quartier die Photographische Sammlung des Warburg Instituts. Seit 1941 war sie mit der Abfassung eines schmalen Bändchens über christliche Stickereien des Mittelalters befaßt, für dessen Abschluß sie jedoch Jahre benötigte. Gertrud Bing beurteilte Kurths Perspektivenlosigkeit im Jahr 1943 wie folgt: ‚Confidentially, she is a very difficult patient. I have the greatest misgivings as to her future. As long as we are living in Denham she can be carried along, but she would be utterly incapable of earning anything towards a living should she again have to be on her own.‘ Im Mai 1945 fand sie allerdings eine befristete Beschäftigung, als sie die Glasgow Art Gallery zur Abfassung eines Katalogs zu den Bildteppichen der Burrell Collection verpflichtete. Unmittelbar nach Abschluß dieser Tätigkeit verstarb Kurth im November 1948.“
Qu.: Warburg Institute, London, Archive of the Society for the Protection of Science and Learning, Oxford, DÖW.
W. u. a.: „Ein gotisches Figurenalphabet aus dem Ende des 14. Jahrhunderts und der Meister E. S. In: Die Graphischen Künste, Nr. 3“ (1912), „Über den Einfluß der Wolgemut-Werkstatt in Österreich und im angrenzenden Süddeutschland. In: Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes der k. k. Zentralkommission für Denkmalpflege, X“ (1916), „Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, 34“ (1918), „Das Lustschloß Schönbrunn. Österreichische Kunstbücher 7“ (1920), „Der deutsche Bildteppich der Gotik. Bibliothek der Kunstgeschichte, hrsg. v. Hans Tietze, Bd. 57“ (1923), „Gotische Bildteppiche aus Frankreich und Flandern. Sammelbände zur Geschichte der Kunst und des Kunstgewerbes, hrsg. v. Adolf Feulner, Bd. VII“ (1923), „Die deutschen Bildteppiche des Mittelalters. 3 Bde.“ (1926), „Die Wiener Tafelmalerei in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und ihre Auswirkung nach Franken und Bayern. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, N.F. III“ (1929), „Mediaeval romances in Renaissance tapestries. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 5“ (1942), „The iconography of the Wirksworth Slab. In: The Burlington Magazine, LXXXVI, Nr. 505“ (1945), „Masterpieces of gothic tapestry in the Burrell collection. In: Connoisseur, 117“ (1946), „A Silesian gold embroidery of the 15th century. In: Connoisseur, 121“ (1948)
L.: BLÖF, Feichtinger 2001, Gludovatz 2002, Hofner-Kulenkamp 1991, Kurz 1949, ÖBL, ÖNB 2002, Prost 1987, Schlosser 1934, Schmid-Bortenschlager/Schneld-Bubenicek 1982, Schmidt-Bortenschlager 1989, Wendland 1999