Kaus Gina, geb. Regina Wiener, verh. Zirner, verh. Kaus, Ps. Andreas Eckbrecht; Schriftstellerin, Publizistin und Drehbuchautorin

Geb. Wien, 21.10.1893

Gest. Santa Monica, Los Angeles, Kalifornien, USA, 23.12.1985

Herkunft, Verwandtschaften: G. K. wurde am 21.10.1893 als Regina Wiener, Tochter von Max und Ida Wiener, in Wien geboren. Sie wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen des jüdischen Kleinbürgertums auf, besuchte aber das Lyzeum und legte die Staatsprüfung in Englisch ab.

LebenspartnerInnen, Kinder: 1913 heiratete K. den aus einer sehr vermögenden jüdischen Wiener Juweliersfamilie stammenden Korrepetitor und Kapellmeister Josef Zirner. Die glückliche und harmonische Ehe endete jedoch abrupt, als Zirner 1915 im Ersten Weltkrieg fiel. Die junge Witwe ließ sich daraufhin, durch den Verlust schwer traumatisiert, auf eine Beziehung mit dem wesentlich älteren Josef Kranz ein. Kranz, ein einflussreicher Bank- und Wirtschaftsmagnat, war einer der reichsten Männer Wiens.

Die 1916 offiziell als Adoption legitimierte Liaison beendete K. 1919, als sie das erste von zwei Kindern von dem kommunistischen Schriftsteller Otto Kaus erwartete, den sie im selben Jahr heiratete. In der Folge wurde sie von Kranz enterbt, aber auch die Beziehung mit Otto Kaus erwies sich sehr bald als Irrtum. Die Ehe wurde Mitte der zwanziger Jahre geschieden. Etwa zu dieser Zeit lernte G. K. den erfolgreichen und angesehenen Wiener Rechtsanwalt Eduard Frischauer kennen, mit dem sie eine langjährige Liebesbeziehung und lebenslange Freundschaft verband. Eine Heirat war zunächst aufgrund der österreichischen Gesetzeslage nicht möglich, sie wurde dann 1940 im Exil in den USA vollzogen.

Freundschaften/Bekanntschaften: Karl Kraus, Franz Blei, Hermann Broch, Robert Musil, Franz Werfel, Egon Erwin Kisch, Alfred Polgar, Friedrich Torberg, Robert Neumann, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Milan Dubrovic, Milena Jesenská und Ernst Polak sowie Friedrich Austerlitz (Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung) und Alfred Adler. In Berlin zudem Vicki Baum, Alice Rühle-Gerstel und Otto Rühle, Ernst Toller, Ferdinand Bruckner, Walter Hasenclever, Rudolf Leonhard, Bert Brecht und Carola Neher. Im Exil ferner Salka Viertel, Hanns Eisler, Fritz Kortner, Frederick (Friedrich) Kohner, Ladislaus Fodor, die Brüder Eis sowie Jay Dratler, Paul und Liesl Frank, Georg Froeschel (Fröschel) und zudem Thomas und Erika Mann, Ernst Deutsch, Bruno Frank, Charlie Chaplin und Charles Laughton.

Laufbahn: K.s Eintritt in die Wiener und Berliner Literaturszene erfolgte um 1915 über ihren Mentor, Ratgeber und Förderer, den Schriftsteller, Zeitschriftenherausgeber, Kritiker, Übersetzer und Kulturvermittler Franz Blei (Blei-Loge im Café Herrenhof). G. K., deren „Doppelleben zwischen Café und Palais“ und zahlreiche Affären Ende der 1910er-, Anfang der 1920er-Jahre nicht nur Stoff für die Skandalpresse, sondern auch für literarische Texte boten, verkörperte authentisch die von den modernen Bewegungen postulierte und in den (links-)liberalen, fortschrittlichen Kreisen und Medien propagierte „neue Frau“: die moderne, großstädtische, berufstätige, starke, aktive und selbstbewusste Frau. Sie folgte dabei aber weder einem feministischen noch einem politischen noch einem ideologischen Programm, sondern lebte weibliche Emanzipation, indem sie autonom, pragmatisch und leidenschaftlich handelte.

Als Salonière im Kranz’schen Palais pflegte sie nicht nur die hohe Kunst der Konversation mondäner, exklusiver Salongeselligkeit in großbürgerlichem Ambiente, sondern wusste auch die unterschiedlichsten Persönlichkeiten aus Literatur, Wirtschaft und Politik in jenem elitären Zirkel zusammenzubringen. Sie hatte bald ein eigenes Atelier (das zugleich als Redaktionssitz von Bleis Zeitschrift „Summa“, als Treffpunkt und Kommunikationszentrale für Freunde oder auch als Veranstaltungsort zahlreicher Soireen fungierte), später ihre eigene Zeitschrift, ein Novum am deutschsprachigen Markt.

Mitte der 1920er-Jahre etablierte sich G. K. erfolgreich in Wien und Berlin als Feuilletonistin und Schriftstellerin, der Großteil ihres literarischen Schaffens erschien in Berlin beim liberalen Verlag Ullstein, der mit seinen zahlreichen und vielfältigen Medien zum größten Verlagshaus Europas der Zwischenkriegszeit avancierte und für seine führenden Autoren massive Imagebildung betrieb. Viele ihrer Beiträge für die Presse wurden über eine Agentur höchst professionell im gesamtdeutschen Sprachraum vertrieben, im Ausland wurde die Romanautorin durch einen internationalen Agenten vertreten. Diese zu jener Zeit zwar durchaus üblichen Praktiken waren im überwiegend patriarchalen Literaturbetrieb dieser Epoche für eine Frau indes höchst ungewöhnlich.

Die Freunde und Schriftstellerkollegen Werfel und Musil setzten K. sehr früh ein literarisches Denkmal: als Muse, Femme fatale und weiblicher Mittelpunkt illustrer Kreise im literarischen Leben Wiens jener Jahre in der Figur der Hedda in Werfels Roman „Barbara oder die Frömmigkeit“ (1929) und in der Figur der Alpha in Musils Posse „Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer“ (1924).

G. K. zählt zu jenen Schriftstellerinnen, die in der Zwischenkriegszeit einen neuen Ton in die Literatur brachten und ein verändertes Verständnis, ein verändertes Selbstbewusstsein weiblicher Autorschaft definierten und etablierten. Als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit fokussierte sie den ungeschönten Blick auf die (vornehmlich weibliche) reale Lebenswirklichkeit der Zeit zwischen den Kriegen, auf die krisengezeichneten zwischenmenschlichen Beziehungen und das Seelenleben des Menschen. Gemäß der zentralen Maxime dieser Bewegung, eine moderne, „demokratische“ sowie „brauchbare“ Literatur anzustreben, hielt sie ihre lakonisch-pointierten, niveauvoll unterhaltenden journalistischen wie literarischen Texte in einer bewusst einfachen, jedermann verständlichen, jedermann zugänglichen, jedoch präzise formulierten Sprache. Ihre Weltanschauung prägten ganz entscheidend zwei zentrale und für das gesellschaftspolitische, geistige und kulturelle Leben im Wien der Republik charakteristische Bewegungen: Individualpsychologie und Austromarxismus.

Alfred Adlers Individualpsychologie, die sich im Roten Wien von der Schule zu einer Bewegung, Weltanschauung und Kulturtheorie entwickelte, bildete das theoretische Fundament für K.s Gesellschaftsbild und Gesellschaftskritik. Die der Sozialdemokratie nahestehende Autorin sah ihre Aufgabe in einer aufklärerischen, die gesellschaftlichen Verhältnisse und Missstände und die nicht zuletzt auch daraus resultierenden zwischenmenschlichen Probleme aufzeigenden Haltung. G. K. war eine scharfe Beobachterin und Kommentatorin des Zeitgeschehens. Engagiert bezog sie Position im öffentlichen, im literarischen wie kultur- und gesellschaftspolitischen Diskurs. Im Fokus ihrer kritisch-analytischen, aber zugleich humorvollen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und dem Lebensalltag stand im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation die Psychologie der Frau, ihre Stellung, Funktion und Aufgabe in der Gesellschaft. K.s dringlichstes Anliegen war, Erfahrungen der Frau unter patriarchalen Verhältnissen und weibliche Identität und neue Lebensmodelle jenseits der traditionellen Rolle aufzuzeigen und abzubilden. Dabei griff sie gerne auf die scharf kontrastierende Gegenüberstellung von traditionellem und neuem Frauenbild zurück, gleichzeitig entwarf sie aber eine Fülle von keineswegs stereotypen, sondern differenziert gezeichneten Frauenfiguren zwischen diesen Polen und hinterfragte tradierte wie propagierte und postulierte Frauenleit- und Klischeebilder. K.s Engagement ging jedoch weit über das literarische hinaus: 1924 gründete sie im Zuge ihrer Frauenzeitschrift „Die Mutter“ eine Beratungsstelle für Frauen der unteren Gesellschaftsschichten.

Gesellschaftspolitische Zeichen setzte sie auch mit ihrer Unterschrift in wichtigen Resolutionen, zudem war sie Mitglied mehrerer Schriftstellervereinigungen und -organisationen: PEN-Club, Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS), „Liga für das geistige Österreich“ („Ligue de l’Autriche vivante“), Author’s league of America.

Bevor K. als „verbrannte“ und „indizierte“ Autorin ihres Lebens-, Wirkens-, Sprach- und Kulturraumes beraubt wurde, war sie nicht nur eine erfolgreiche Schriftstellerin: Sie war eine anerkannte Persönlichkeit und geistige Autorität. Sie wurde stetig zu sozialen und kulturellen Problemen der Zeit öffentlich befragt und galt bereits vor Beginn der zwanziger Jahre als eine der geistreichsten Frauen Wiens, die in ihrem Denken der eigenen Zeit weit voraus war.

Die vielseitige Schriftstellerin profilierte sich als Publizistin und Autorin, Prosaistin und Dramatikerin. Sie war bei einem breiten (Großstadt-)Publikum populär und wurde von Freunden, Kollegen und anderen Persönlichkeiten der Öffentlichkeit geschätzt, im (männerdominierten) Literaturbetrieb war sie etabliert, anerkannt und respektiert.

Der Bekanntheitsgrad der Autorin in der Zwischenkriegszeit war groß, die Erfolgs- und Bestsellerautorin genoss hohes Ansehen im In- und im Ausland, vor allem in Frankreich, England und den USA. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und erschienen allesamt in durchwegs renommierten Verlagen.

Zur Zeit von Ständestaat und Nationalsozialismus konnte K. über den Wiener Georg Marton Verlag und den Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange weiterarbeiten und weiterhin veröffentlichen. Im März 1938 gelang ihr, am Tag des „Anschlusses“, gerade noch die Flucht ins Ausland. Nach eineinhalb Jahren im Pariser Exil musste sie im September 1939 Europa endgültig verlassen. Über New York gelangte sie nach Los Angeles, wo die deutsche Emigrantenkolonie in Südkalifornien ihr neues Zuhause wurde. K. konnte sich in der Filmindustrie Hollywood als Drehbuchautorin etablieren und somit weiterhin vom Schreiben, wenngleich in einem anderen Metier und unter völlig anderen Voraussetzungen und Arbeitsbedingungen, leben, was nur wenigen Autoren aus Europa gelang. Dennoch kämpfte sie stets um die berufliche und kulturelle Identität. Und obwohl sie zwar die berufliche, nicht aber die soziokulturelle Assimilation in der amerikanischen Gesellschaft vollzog, blieb sie bis zu ihrem Lebensende in den USA, wo sie im Alter von 92 Jahren in einem Pflegeheim in Santa Monica starb.

Rezeption/Forschung: Dass die über Jahrzehnte im In- und Ausland so erfolgreiche Schriftstellerin und geschätzte Persönlichkeit des literarischen Lebens in ihrer Heimat sukzessive in Vergessenheit geriet und heute nach wie vor einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist, liegt zum einen in der Vernichtungspolitik des „Dritten Reiches“ und der Verdrängungspolitik der Zweiten Republik begründet. Zum anderen zeichnet dafür aber auch der Umstand verantwortlich, dass K. bis zu ihrem Tod im Exilland USA blieb, wo sie trotz einiger Ideen, Pläne und Entwürfe kein einziges Buch mehr veröffentlichte.

Bis in die 1980er-/1990er-Jahre wurde K., ganz im Gegensatz zur zeitgenössischen Rezeption, als reine Unterhaltungsschriftstellerin und Bestsellerautorin rezipiert und gehandelt. Eine Geringschätzung bzw. Marginalisierung der Autorin fand aber nicht nur im österreichischen Literaturbetrieb statt, sondern auch vonseiten der Forschung. Für eine lange Zeit kann man geradezu von einer „Vernachlässigung“ der Schriftstellerin in der literaturwissenschaftlichen Forschung sprechen.

Auch wenn sich Wahrnehmung und Beurteilung der Schriftstellerin G. K. im Zuge der allmählichen Wiederentdeckung dahingehend verändert haben, dass nicht vordergründig ihre erotische, sondern zunehmend ihre literarische Karriere und ihr literarisches Schaffen im Fokus des Interesses stehen, lässt sich weitgehend doch eine eher oberflächliche Klassifizierung erkennen: Gemeinhin wird K. mit den Prädikaten „Bestsellerautorin“ und „Erfolgsautorin der Zwischenkriegszeit“ bedacht und recht einförmig als Autorin „gepflegter“ oder „anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur“ bzw. „feinsinniger“ oder „intelligenter Psychologisierung“ ausgewiesen. Werklisten sind bis in die jüngste Zeit lücken- und teilweise fehlerhaft. In den letzten Jahren lassen sich bezüglich Forschung, Publikation und Rezeption der Schriftstellerin G. K. allerdings Entwicklungen ausmachen, die neue Ansätze aufgreifen und fortführen. Mit der Loslösung der Autorin von der ihr so hartnäckig anhaftenden Etikette „Unterhaltungsschriftstellerin“ geht eine Neuverortung und Neubewertung von Autorin und Werk einher. Unterschiedliche Forschungszweige und Foren engagieren sich, über neue Studien und neue Wege von Rezeption und Publikation die Autorin und ihr umfangreiches Œuvre einer breiteren Öffentlichkeit wieder bekannt zu machen.

Schön wäre es, wenn es gelänge, den Status der „vergessenen Autorin“ zu revidieren und stattdessen jenen der „bedeutenden deutschsprachigen Schriftstellerin der Zwischenkriegszeit“ zu etablieren.

Ausz.: 1920 Fontane-Preis, für die Novelle „Der Aufstieg“ (1917), 1927 Teilpreis des Bremer Goethe-Bundes und des Schauspielhauses, für das Theaterstück „Toni. Eine Schulmädchenkomödie“ (1926).

Publikationsforen (Auswahl): Presse: Summa, Sowjet (beide Wien, unter Pseudonym); Arbeiter-Zeitung, Kuckuck, Der Tag, Muskete (alle Wien); Vossische Zeitung, Berliner Tageblatt, Uhu, Die Dame, BZ am Mittag, Die literarische Welt (alle Berlin), Simplicissimus (München), Deutsche Zeitung Bohemia, Prager Tagblatt (beide Prag), Czernowitzer Morgenblatt (Czernowitz).

Herausgeberin (Eigenverlag, Wien): „Die Mutter. Halbmonatsschrift für alle Fragen der Schwangerschaft, Säuglingshygiene und Kindererziehung“

Verlage: Georg Müller Verlag, Knorr & Hirth (beide München), Ullstein Verlag (Berlin), Georg Marton Verlag (Wien), Verlag Allert de Lange (Amsterdam)

 

W. (Auswahl): Kleine Prosa: Feuilletons, Essays, Novellen, Erzählungen; Artikel, Kommentare, Rezensionen, Romane: „Die Front des Lebens“ (1928, in Fortsetzungen), „Die Verliebten“ (1928), „Morgen um neun“ (1932), „Die Überfahrt“ (1932), „Die Schwestern Kleh“ (1933), „Katharina die Große“ (1935), „Der Teufel nebenan“ (1939)

Theaterstücke: „Diebe im Haus“ (1917/1919), „Toni. Ein Schulmädchendrama in zehn Bildern“ (1926, Originaltitel), gemeinsam mit anderen Autoren: „Schrift an der Wand“, „Gefängnis ohne Gitter“, „Die Nacht vor der Scheidung“, „Whisky und Soda“ (alle 1937)

„Die Brautnacht. Eine ethnologisch-kulturgeschichtliche und sexualphysiologische Schilderung ihres Wesens und ihrer Bedeutung. Eine Morphologie ihrer Erscheinungsformen. Von Dr. Alex. Hartwich, Gina Kaus und Dr. Alfred Kind“ (1931 = Die legitime Erotik. Bd. 1)

Filmbeiträge/Filme; Übersetzungen

Autobiografie/Memoiren: „Und was für ein Leben… mit Liebe und Literatur, Theater und Film“ (1979)

L.: Atzinger 2008 (zugl. Dipl. Arb. 2006), Bittermann-Wille/Hofmann-Weinberger 2005, Capovilla 2004, Dubrovic 1986, Gürtler/Schmid-Bortenschlager 2002, Heinrichsdorff 1998, Malone 1976, Mulot 1989, Mulot 1990, Mulot 1992, Mulot-Déri 1989, Schreiner 2006, Spiel 1979, Steinaecker 2011, Vollmer 1999, Vollmer 2000, Wagner 1988a

 

Hildegard Atzinger