Katschnig-Fasch Elisabeth

*1947, Tragöß/Oberort, † 2012, Graz, Stmk.
Empirische Kulturwissenschafterin

1967/68 Studienaufenthalt in Paris; 1969-1976 Studium an der Univ. Graz (Volkskunde, Psychologie, Philosophie); 1976 Promotion („Vereine in Graz“), 1976 Vertragsassistentin am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz; 1978 Universitätsassistentin am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz; 1982 Oberassistentin am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz; 1985 Gründung der Zeitschrift „Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur“; 1987 Forschungsaufenthalt im steirisch-slowenischen Grenzgebiet; 1989 Assistenzprofessorin am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz; 1996 Habilitation („Möblierter Sinn. Städtische Wohn- und Lebensstile“); 1996-2012 ao. Professorin am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz; 1997-1998 Vertretungsprofessorin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main.
2003 Bruno Kreisky-Anerkennungspreis für das Buch „Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus“.

E. K.-F. studierte von 1969 bis 1976 Volkskunde, Psychologie und Philosophie an der Universität Graz und war während ihres Studiums (1970-1974) als Blindenlehrerin am Odilien-Institut Graz tätig. Ihre formale Universitätslaufbahn begann als Vertragsassistentin am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz gleich nach Abschluss des Studiums und nahm einen kontinuierlichen Verlauf bis zur Position als Ao. Professorin im Jahr 1996. Von 1976 bis 1985 arbeitete E. K.-F. neben ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin als freie Journalistin für die sozialdemokratische Tageszeitung „Neue Zeit“ und für den ORF.
1979 wurde ihr Sohn Daniel Fasch geboren. Als über längere Zeitstrecken alleinerziehende Mutter war E. K.-F. privat zwar an den Ort Graz gebunden, dennoch suchte sie intellektuellen Austausch und wissenschaftliche Erkenntnisse weit stärker im internationalen als im lokalen Kontext. Als Beispiele hervorzuheben sind ihre Verbindungen und gemeinsamen Forschungsreisen mit Ina-Maria Greverus, Gründerin des Frankfurter Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, ihre „professionelle Frauenfreundschaft“ (Weiss 2013, S. 201) mit der Schweizer Ethnopsychoanalytikerin Florence Weiss, ihre Arbeitskontakte mit der Philosophin, Indologin und Schriftstellerin Rada Iveković (Programmdirektorin am Collège international de philosophie in Paris) oder mit dem Soziologen Franz Schultheis, mit dem sie die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Pierre Bourdieus verband. E. K.-F. war Mitglied des editorial boards der von Ina-Maria Greverus und Christian Giordano gegründeten Fachzeitschrift „Anthropological Journal on European Cultures“ und der IACSA (International Association for Cultural Studies in Architecture). In den Jahren 2005/2006 war E. K.-F. Partnerin des EU-Projektes „Constructing European Citizenship: Gender and Memory in European Twin Towns“. 2008 hat sie das internationale Promovierendenbetreuungsprogramm der Partnerinstitute Graz, Basel und München mitgegründet. An diesem Programm sind mittlerweile Institute aus sieben Ländern beteiligt. Diese Vernetzungen und Aktivitäten machen nicht nur die internationale Ausrichtung, sondern auch E. K.-F.s Interesse an interdisziplinären Kooperationen deutlich.
Bereits in ihrer Dissertation über „Vereine in Graz“ (1976) fokussierte E. K.-F. Stadt und Raum als wesentliche Kategorien menschlichen Daseins und forschte seit den 1970er Jahren kontinuierlich zu städtischen Wohn- und Lebensverhältnissen, wobei sie vor allem die kulturellen und sozialen Verhältnisse der Stadt Graz intensiv erkundete. Im Bereich der Stadtanthropologie zählt sie zu den PionierInnen des Faches. Mit ihrem Wissen über die Macht des Raumes in Bezug auf soziale Exklusionsmechanismen sowie über den Eigensinn von Graz brachte sie sich immer wieder in den öffentlichen Diskurs der Stadt ein. Ihr gesellschaftspolitisches Engagement zeigte sich etwa Ende der 1980er Jahre in ihren Aktivitäten für den Erhalt einer 1942 errichteten Wohnsiedlung, die 1988/89 über eine mediale Kampagne zu einem Grazer „Schandfleck“ erklärt wurde. Forschungen über die Siedlung und ihre BewohnerInnen sowie Interventionen im Stadtplanungsamt und bei PolitikerInnen führten schließlich dazu, dass die Stadt die Siedlung als „besonders schützens- und erhaltenswert“ erklärte und unter Denkmalschutz stellte (Moser 2013).
In den 1980er Jahren engagierte sich E. K.-F. insbesondere für die Frauen- und Geschlechterforschung und baute die interdisziplinäre Vernetzung von Frauen- und GeschlechterforscherInnen der Universität Graz (Projektgruppe Interdisziplinäre Frauenstudien der Universität Graz) mit auf.
Die von E. K.-F. gegründete und mittlerweile gut etablierte Fachzeitschrift „Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur“ ist im Jahr 1986 erstmals erschienen. Im von E. K.-F. verfassten Editorial der ersten Ausgabe kommt eine Aufbruchstimmung zum Ausdruck, die die 1980er Jahre des Grazer Instituts für Volkskunde und Kulturanthropologie prägten. Viele, vor allem Studierende, drängten zu einer „Modernisierung“ des Faches, es wurden selbstreflexive und -kritische Fragen an das Fachverständnis, den Kanon sowie die Fachbezeichnung gestellt. Laut Studierender zur damaligen Zeit galt E. K.-F. als intellektuelles Zentrum dieser Entwicklungen.
1987 startete sie gemeinsam mit dem Grazer Soziologen Christian Fleck und dem slowenischen Kulturwissenschaftler Jurij Fikfak ein Forschungsprojekt über ein Dorf an der steirisch-slowenischen Grenze, dessen Ergebnisse 1992 in einem Sonderband der Zeitschrift „Kuckuck“ mündeten und als erste Ethnografie der slowenischsprachigen Minderheit in der Steiermark betrachtet werden kann.
In den 1990er Jahren setzten sich die in den 1980er Jahren begonnenen Arbeiten E. K.-F.s fort. Durch die Gründung des kooperativen Netzwerkes „Wissenschaftlerinnen in der Europäischen Ethnologie“ (WIDEE) im Jahr 1990 hat E. K.-F. die Etablierung der Genderthematik im Fach vorangetrieben. Von diesem wurde beispielsweise 1993 die Tagung „Nahe Fremde – fremde Nähe. Frauen forschen zu Ethnos, Kultur, Geschlecht“ initiiert; die Ergebnisse wurden im selben Jahr und unter demselben Titel in der Reihe Frauenforschung des Wiener Frauenverlags publiziert.
Die zahlreichen Wohnstudien E. K.-F.s mündeten 1998 in ihre Habilitationsschrift „Möblierter Sinn. Städtische Wohn- und Lebensstile“, die als methodisch und theoretisch verdichtete Monografie veröffentlicht wurde und einen international anerkannten Beitrag für die Stadtanthropologie darstellt.
In den letzten 15 Jahren ihres Lebens hat E. K.-F. einen Themenstrang verstärkt verfolgt, der bereits in ihren Arbeiten davor angelegt war. Der Einbruch des Neoliberalismus und ihre Beobachtung, dass immer mehr Menschen die Effekte einer Gesellschaft am eigenen Leib zu spüren bekommen, in der die Sogkraft des Ökonomismus Effizienz zum obersten Wert verabsolutiere sowie ihr grundlegendes Sensorium für den einzelnen Menschen, für seine Gefährdungen und seine Sorgen führten um die Jahrtausendwende zu einem verstärkten Interesse für die soziale Frage in ihren kulturwissenschaftlichen Analysen. Das Forschungsprojekt „Was das Leben schwer macht. Vom Leiden an gegenwärtigen kulturellen und sozialen Umbrüchen“ (2001–2003) konnte auf die über Jahre hinweg gewonnenen Einblicke in die Alltagsleben der StadtbewohnerInnen aufbauen und widmete sich, in Anlehnung an Pierre Bourdieus Studie „Das Elend der Welt“ (1997), der Erforschung der Auswirkungen gesellschaftlicher Umbrüche auf die alltäglichen Lebenswelten von Menschen aus unterschiedlichen Berufen und Milieus. Die Forschungsergebnisse wurden im Buch „Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus“ (2003) veröffentlicht, das im selben Jahr mit dem Bruno Kreisky-Anerkennungspreis ausgezeichnet wurde. Dieses Werk ist deutliches Beispiel dafür, dass E. K.-F. auch gezielt gesellschaftspolitische Fragen aufgriff und somit methodisch wie theoretisch fundierte Argumente in den öffentlich geführten politischen Diskurs einbrachte. Ihre Präsenz in der Öffentlichkeit zeugte umgekehrt davon, dass ihre Forschungsarbeiten immer wieder den Nerv der Zeit trafen.
Von 2010 bis 2012 war E. K.-F. Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der österreichischen Armutskonferenz. Ihr im Jahr 2011 gestartetes Forschungsprojekt zu Formen subjektiver Verarbeitung struktureller Veränderungsprozesse an drei verschiedenen Orten der Region Obersteiermark-Ost, jener Region, in der E. K.-F. aufgewachsen war, konnte leider aufgrund des frühzeitigen Todes durch schwere Krankheit nicht mehr abgeschlossen werden.

Werke

Paris-Milano-Graz. Feministische Konzepte in Entwicklung, Wien (= Dokumentationen 4), (als Mithg. der Projektgruppe Interdisziplinäre Frauenstudien der Universität Graz), Graz, 1991.
Fremde Nähe – Nahe Fremde. Frauen forschen zu Ethnos, Kultur und Geschlecht (5. Tagung zur Frauenforschung), Wien, 1994.
Der andere Blick auf die Stadt (Kuckuck Sonderband 3/1999) (Hg. mit M. Omahna), Graz, 1999.
Möblierter Sinn. Städtische Wohn- und Lebensstile, Wien/Köln/Weimar 1998.
Einsamkeiten. Orte. Verhältnisse. Erfahrungen. Figuren (Hg. mit C. Huber, A. Niegelhell und R. Schaller-Steidl), Wien, 2001.
Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus (Hg. mit G. Malli), Wien, 2003.
Gender and Nation in South Eastern Europe (Hg. mit K. Kaser), Münster, 2005.
Kulturanalyse – Psychoanalyse – Sozialforschung. Positionen, Verbindungen und Perspektiven, Doppelheft 2/3 der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde (Hg. mit E. Timm), Wien, 2007.

Literatur / Quellen

Bourdieu, P. et al. (Hg.): Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz, 1997.
Weiss, F.: Hommage an Elisabeth Katschnig-Fasch. In: Moser, J. / Malli, G. / Wolfmayr, G. / Harg, M. (Hg.): Wissenschaft als Leidenschaft. Gedenkschrift für Elisabeth Katschnig-Fasch, München, 2013, S. 201-206.
Moser, J.: Ästhetik und Leidenschaft. Erinnerungen an Elisabeth. In: Moser, J. / Malli, G. / Wolfmayr, G. / Harg, M. (Hg.): Wissenschaft als Leidenschaft. Gedenkschrift für Elisabeth Katschnig-Fasch, München, 2013, S. 213- 225.

BiografieautorIn:

Gerlinde Malli