Kallmus Dora Philippine, seit 1907 Künstlername Madame d‘ Ora; Fotografin

Geb. Wien, 20.3.1881

Gest. Frohnleiten/Steiermark, 30.10.1963

Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Dr. Philipp Kallmus (1842-1918), Notar am Hofgericht Wien; Mutter: Malvine, geb. Sonnenberg (1853-1892); Schwester: Anna Malwine (1878 Wien- ca. 1942, Deportation 2.11.1941 Wien-Litzmannstadt).

Ausbildung: 1900 beschließt D. Ph. K., Fotografin zu werden. Erste Einblicke in die Fotoatelierarbeit erhält sie 1905 im Sommeratelier des Gesellschaftsfotografen Hans Makart. (Sohn des Malers). Frauen war damals die Fotografinnenlehre verwehrt. Auch die Ausbildung an der k. u. k. Lehr- und Versuchsanstalt für Fotografie und Reproduktionsverfahren in Wien ist ihr als Frau verwehrt, sie erhält jedoch eine Sondererlaubnis, an Vorträgen teilzunehmen. D. K. entschließt sich zur weiteren Ausbildung für Berlin, weil dort, anders als in Wien, die „künstlerische Fotografie“ im Vordergrund stand. Weitere Ausbildung bei Nicola Perscheid in Berlin von Januar bis Mai 1907 in Fotografie, Kopie und Retusche. Perscheid bezeichnet sie in ihrem Zeugnis als „bisher beste Schülerin“ und erkennt ihre außerordentliche Begabung. 1907 erhält sie in Wien den Gewerbeschein und richtet in der Wipplingerstrasse 24 im ersten Wiener Bezirk ein elegantes Atelier ein.

Laufbahn: In großbürgerlichen Familienverhältnissen in der Wiener Innenstadt aufgewachsen. Die Mutter stirbt früh. Will zunächst Schauspielerin werden, was von seiten der Familie jedoch nicht gebilligt wird. 1900 fällt der Entschluss Fotografin zu werden. Bis zur Übersiedlung nach Paris 1927 wohnt sie mit ihrer Schwester Anna zusammen. Auf eine Familie oder feste Beziehung verzichtet D. K. zugunsten ihrer Kunst. Zusammen mit Arthur Benda (1885-1969) eröffnet sie im Herbst 1907 das Atelier „d`Ora“. Durch Ausstellungen, Veröffentlichungen in Zeitschriften und Werbeblättern macht sie sich einen Namen weit über die österreichischen Grenzen hinaus. Seit 1916 folgen wichtige offizielle Aufträge. Sie fotografiert die Krönung Kaiser Karls zum König von Ungarn, 1917 eine Portraitserie der kaiserlichen Familie. Seit 1917 ist sie mit großem Erfolg in der inländischen und internationalen Modefotografie tätig.

Seit 1915 beschäftigt sie sich auch mit dem Thema Tanz und der fotografischen Darstellung von Tänzern und Tänzerinnen. Ihr kongenialer Partner, Arthur Benda, ist technisch höchst begabt und für die technische Umsetzung und die Edeldruckverfahren der Abzüge verantwortlich. Er ist es, der hinter der Kamera steht. Die Fotografin ist dagegen für die Regie und das Arrangement zuständig. Sie findet neue Bildlösungen und szenische Arrangements.

1921-1926 unterhält D. K. ein Sommeratelier in Karlsbad. Seit 1925 führt die Künstlerin auch in Paris ein eigenes Atelier und zieht sich 1927 ganz nach Paris zurück. Sie verkauft ihr Wiener Atelier an Benda. Auch in Paris gehört die Künstler- und Intellektuellenszene zu ihren Auftraggebern und künstlerischen Kontakten. Außerdem widmet sie sich verstärkt der Modefotografie. Der Einmarsch der Nazis in Frankreich 1940 ist eine Zäsur in ihrem Leben und Werk. D. Ph. K. verkauft ihr Atelier in Paris und hält sich in Südfrankreich in einem Kloster und auf einem Bauernhof in der Ardèche versteckt. 1946/47 besucht sie zum ersten Mal wieder Österreich und macht Aufnahmen in Flüchtlingslagern. Die unsagbaren Schrecken des Krieges verändern ihren Fotostil: Sie verlässt zum ersten Mal das Atelier und hält das Elend und die Resignation der Flüchtlinge fest. Es entstehen nun auch schockierende Pariser Schlachthaus-Bilder (1950-1958), in denen die Grausamkeit des Massenschlachtens zum Thema gemacht wird. Daneben sichern die Portrait- und Modefotografie den Lebensunterhalt der Künstlerin.

1959 wird D. K. durch einen Unfall pflegebedürftig. 1961 übersiedelt sie wieder nach Österreich, wo sie auf ihren Wunsch in Frohnleiten im Haus ihrer Familie wohnt.

D. K.s Kunden kommen aus der jüdischen Wiener Intelligenz: Alma Mahler Werfel, Arthur Schnitzler, Max Reinhardt, Berta Zuckerkandl, die Sacher, Gustav Klimt und Emilie Flöge, Gräfin Szechenyi-Vanderbil, Karl Kraus, Anna Pawlowa und die Schwestern Wiesenthal, Tina Blau, Maria Jeritza zählen zu ihren AuftraggeberInnen. Ab der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre auch in Paris Kundenkreis aus der Künstler- und Intellektuellenszene mit Aufträgen von verschiedenen Modezeitschriften. Sie fotografiert u.a. Josephine Baker, Maurice Chevalier, Anna Pawlowa, Coco Chanel.

D. K., die ohne jeden Zweifel als Pionierin der Fotografie gilt, ist geschäftstüchtig und selbstbewusst und von sich selbst überzeugt. D. K. vereint in ihrem Still den Anspruch der Repräsentation mit dem der individuellen Charakterisierung von Menschen durch eine geschickte Regieführung. Im Laufe der Zeit wird ihr Stil − wie im zeitgenössischen Schauspiel − immer expressiver.

In Paris ändert sich D. K.s Stil gemäß den Tendenzen der zeitgenössischen Mode: der Stil wird weicher und fließender, Glitzereffekte werden eingesetzt, die den Glamour der Zwanzigerjahre widerspiegeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt D. K. künstlerische Verantwortung und bekennt, dass das stattgefunden Grauen auch die herkömmlichen künstlerischen Mittel obsolet macht und unterbricht ihre Laufbahn, um soziale und zeitgeschichtliche Themen zu dokumentieren.

Mitglsch.: Die k. u. k. Fotografische Gesellschaft nimmt D. K. 1905 als erstes weibliches Mitglied auf. Dort erlernt sie die Praxis in der Dunkelkammer.

W.: Ihre Werke befinden sich in: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv. Österreichische Nationalbibliothek, Theatersammlung. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bilbiothèque Nationale, Paris. Sammlung Fotografis, Länderbank Wien. Archiv Setzer-Tschiedl, Wien. Sammlung Mag. Adolf Adler, Wien. Sammlung Peter Baum, Linz. Sammlung Dr. Christian Brandstätter, Wien. Sammlung Dr. Christian Coudenhove-Kalergi, Wien. Sammlung Hans Frank, Bad Ischl. Sammlung Peter Schnitzler, Wien. Sammlung Seemann, Wien. Sammlung Timm Starl, Frankfurt/Main.

Eigene Texte von D. K.: „Hundeportraits (mit Text). In: Die Dame 4“ (1926), „Jadefigur. Eine Caprice von Mme. d`Ora“ (mit Text). In: Das Magazin 39“ (1927), „Das Auto und die Tänzerin (mit Text). In: Die Dame 19“ (1929), „Komagiku heißt die kleine Tänzerin (mit Text). In: Das Magazin 69“ (1930), „Kinderphotos (mit Text). In: Madame“ (November 1955).

eigene zeitgenössische Veröffentlichungen (= Publikationen, die ausschließlich mit Werken von D. Ph. K. illustriert sind): „H. H. Ewer: Bild und Photo“ (1914, Werbebroschüre), „Le portrait élégant. 12 Fotos“ (1921), „Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Anita Berber, Sebastian Droste. 16 Fotos“ (1922), „Maurice Chevalier, 27 Fotos“ (1955).

eigene Fotojournalistische Tätigkeit: Erdgeist (Wien 1909), Die Bühne (Wien ab 19223), Die Dame (Berlin ab 1920), Die Damenwelt (Wien 1917), Wiener Salonblatt (ab 1910), Die Woche (Berlin ab 1914), Das Wiener Magazin (ab 1917), Vu (Paris ab 1917), Officiel de al Couture et la Mode (Paris ab 1917), Das Magazin (Berlin ab 1926), Femina (Paris ab 1925), Moderne Welt (Wien ab 1921), Madame (München ab 1953), Querschnitt, Der Tanz, Uhu;

Qu.: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg; Sammlung Hans Frank, Bad Ischl (Briefwechsel mit Arthur Benda); Österreichische Nationalbibliothek; Bildarchiv und Theatersammlung; Mag. Wolf-Erich Eckstein, IKG Wien.

L.: Faber 1983, Kempe 1977, Faber 1984, Philipp 1984, Faber 1987, Gerber/Rotter/Schneider 1992, Faber 1992, Beckers 1993, Geber/Rotter 1999