Jellinek Camilla, geb. Wertheim; Frauenrechtsaktivistin
Geb. Wien, 24.9.1860
Gest. Heidelberg, Deutsches Reich (Deutschland), 5.10.1940
C. J. wurde am 24. September 1860 als das erste Kind des Mediziners Gustav Wertheim und seiner Ehefrau Wilhelmine in eine (jüdisch)-katholische Familie in Wien geboren. Von den gelehrten und interessierten Eltern lernte C. früh bereits den Wert von Bildung schätzen, eine höhere Bildung war ihr allerdings als Frau nicht zugänglich. Von 1875 bis 1877 besuchte sie die höhere Bildungsschule des Frauenerwerbvereins. Mit 19 Jahren begegnete sie dem Juristen Georg Jellinek, dem Sohn des bedeutenden jüdischen Geistlichen Wiens, Adolf Jellinek. C. und Georg Jellinek heirateten im Juli 1883. C. war zuvor aus der katholischen Kirche ausgetreten, ohne jedoch zu konvertieren. Das Ehepaar ließ sich 1910 protestantisch taufen. Im Mai 1884 bekam C. J. ihren ersten Sohn Paul, ein Jahr später kam Walter zur Welt und 1888 die Tochter Dora.
1890 erhielt Georg Jellinek einen Ruf an die Heidelberger Universität. Im März 1891 wurde die Tochter Paula geboren. Nach dem Umzug Max und Marianne Webers nach Heidelberg schlossen die Webers und Jellineks eine enge Freundschaft. Marianne Weber regte C. J. schließlich an, sich außerhalb der Familie in der Frauenbewegung ein neues Betätigungsfeld zu schaffen. C. J. wurde nicht nur Mitglied des 1897 gegründeten überregionalen Frauenvereins „Frauenbildung − Frauenstudium“, sondern Mitbegründerin und Vorsitzende der neu gegründeten Heidelberger Rechtsschutzstelle für Frauen. Für sie begann mit der Arbeit in der Rechtsschutzstelle „ein zweites Leben“. Daneben besuchte sie philosophische und juristische Vorlesungen an der Universität und wurde schnell zu einer juristisch äußerst begabten Autodidaktin.
1906 wurde C. J. in die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF) gewählt. Sie wurde in diesem Kontext schnell zur Fachfrau für verschiedene Fragen der Strafrechtsreform, v. a. argumentierte sie für eine Abschaffung des Abtreibungsparagraphen. Bei der Generalversammlung des BDF 1908 wurde sie einstimmig zur Vorsitzenden der Rechtskommission gewählt. Daneben war sie insbesondere auch mit Problemen des gewerblichen Rechtsschutzes beschäftigt. Sie gründete im Herbst 1907 in Heidelberg ein Wohnheim für Kellnerinnen sowie einen Trägerverein, damit diese als Nebenverdienst nicht der Prostitution nachgehen mussten. Als der Beruf abgeschafft werden sollte, sammelte sie im Alleingang 125 000 Unterschriften, um dagegen zu protestieren.
Nach dem Tod Georg Jellineks im Jahr 1911 verstärkte sich ihr Engagement für die Frauenbewegung. 1912 wurde C. J. zur stellvertretenden Vorsitzenden des Rechtsschutzverbandes für Frauen, des Dachverbandes der deutschen Rechtsschutzstellen, gewählt. Bei Kriegsausbruch wurde sie im „Nationalen Frauendienst“ (NFD) tätig und organisierte u. a. die Arbeitsvermittlung für Frauen in Heidelberg. Nach dem Krieg arbeitete C. J. seit 1915 auch in zwei Bundeskommissionen des BDF mit, der „Kommission zur Vorbereitung des Gemeindebestimmungsrechts“ und der „Kommission zur Fertigstellung der Petitionen zum Strafrecht und zur Strafprozessordnung“. Ab 1916 bis 1933 saß sie im erweiterten BDF-Vorstand. Außerdem trat sie der Deutschen Demokratischen Partei bei. Nach 1918 begann sie eine noch umfangreichere publizistische Tätigkeit und wurde in unzähligen Kommissionen tätig. Im „International Council of Women“ (ICW) war sie die deutsche Vertreterin im Rechtsausschuss. Im Alter von 65 Jahren wurde C. J. zur Vorsitzenden des „Badischen Verbands für Frauenbestrebungen“ gewählt.
C. J. hielt allerdings auch Kontakt zur Frauenbewegung in Wien und veröffentlichte u. a. Aufsätze im „Neuen Frauenleben“, dem Organ des radikaleren Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung in Österreich.
Im September 1930 wurde C. J. mit dem Dr.iur. h.c. geehrt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten endeten alle ihre Tätigkeiten. Noch bevor die Frauenorganisationen gleichgeschaltet wurden, trat sie als „Nicht-Arierin“ gezwungenermaßen von all ihren Posten zurück. Da sie als „Mischling ersten Grades“ galt, wurde sie in den ersten Verfolgungen noch nicht einbezogen. Bevor die „Endlösung“ erklärt wurde, war C. J. am 5. Oktober 1940 bereits einer schweren Krankheit erlegen.
W.: (ausführliche Bibliographie in Kempter, s. u., Die Jellineks, S. 566-572) „Kellnerinnenelend. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 24“ (1907), „Die weibliche Bedienung im Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe“ (1909), „Entwurf einer Petition betreffend das Verbot weiblicher Bedienung in Gast- und Schankwirtschaften“ (1909), „Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung“ (1909), „Die Strafrechtsreform : und die §§ 218 und 219 St.G.B.“ (1909), „Die Frau im neuen Deutschland“ (1920), „Die Frauenbewegung in Deutschland“ (1922), „Frauen unter Deutschem Recht“ (1928), „Das Recht im Leben der Frau“ (1931), „Georg Jellinek. In: Neue Österreichische Biographie, Bd. 7“ (1931), „Hg.: Schriften über Frauenfragen“ (1909-1926)
L. u. a.: Kempter 1995, Kempter 1998, Kempter 2004, Schade 1989, Walk 1988a
Marion Röwekamp