Heidegger Maria Christina, geb. Bilgeri; Anführerin des Krumbacher Weiberaufstandes

Geb. Krumbach, Vbg., 1.5.1756
Gest. Krumbach, Vbg., 10.1.1824

H. entstammt einem Bregenzerwälder Bauerngeschlecht. Ihr Mädchenname war Maria Christina Bilgeri. Mit ihrer Heirat 1780 nahm sie den Namen ihres Mannes Heidegger (auch Haidegger, Heidecker) an, meist in der Form Heideggerin. Der Vorname lautet meist nur auf Christina oder Kristina. Ihr Porträt ist nicht überliefert, sieht man von der wenig naturgetreuen Zeichnung einer revoltierenden Frauengruppe ab, die aber erst mehr als zehn Jahre nach dem Aufstand in der Lingenauer Chronik überliefert ist. Längle hat darauf hingewiesen, dass H. rote Haare hatte, was auf dem Land als Stigma angesehen wurde und sie zu einer Außenseiterin gemacht haben könnte.

H. wurde am 1.5.1756 in Krumbach (Bez. Bregenz, Vorarlberg) geboren. Taufpaten waren Joseph Raidt und Katharina Fink. Ihre Eltern, Johann Bilgeri und Maria Fink, betrieben eine Landwirtschaft; H. selbst wuchs auf dem elterlichen Hof in den bäuerlichen Beruf hinein. Eine Schule hat sie nicht besucht; H. war Analphabetin, ihren Fehdebrief an Bayern diktierte sie der schreibkundigen Katharina Schoch, einer Tochter ihrer Mitstreiterin Magdalena Schoch.

Gestorben ist H. am 10.1.1824 als Witwe im Alter von 68 Jahren in ihrem Geburtsort Krumbach (Unterkrumbach 13). Der Ort Krumbach hat damit ihr ganzes Leben geprägt. Ihre Tochter Maria ist am 5.12.1827 im Alter von 38 Jahren wenige Jahre nach ihrer Mutter auf dem gleichen Anwesen Unterkrumbach 13 gestorben; man darf daher annehmen, dass Mutter und Tochter bis zum Tod der H. zusammengelebt haben.

Am 21.12.1780 heiratete sie in Krumbach den etwa gleichaltrigen Bauern Johann Konrad Heidegger, ebenfalls aus Krumbach, geboren 1756. Trauzeugen waren Josef Bilgeri und Peter Bein. Der Ehemann hat den Weiberaufstand von 1807 noch miterlebt, ist aber nicht in Erscheinung getreten; er wurde auch von seiner Frau nicht eingeweiht. Der Ortsvorsteher von Krumbach glaubte in einem Schreiben an das Kreiskommissariat in Bregenz eine Erklärung gefunden zu haben: „weil hauptsächlich dieses Weib das Ruder in dem Hause führet“. Immerhin schimpfte ihr Mann sie „gewaltig“ und schlug ihr sogar einen Zahn aus. Das von ihr und ihrem Mann bewirtschaftete kleine Gut wurde auf 2.000 Gulden geschätzt, war jedoch mit 1.100 Gulden verschuldet. Zwei Kühe konnten auf dem Gut überwintern.

H. hat neun Kinder zur Welt gebracht, die fast alle in Unterkrumbach 9 geboren wurden: Johann Peter, geboren am 6.5.1782, gestorben am 10.3.1796; Maria, geboren am 29.7.1783, gestorben am 9.6.1784; Johannes, geboren am 26.4.1785, gestorben am 4.3.1787; Josef, geboren am 30.7.1786, zur Zeit des Aufstandes Student; Johannes, geboren am 24.1.1788, zur Zeit des Aufstandes Maurer; Maria, geboren am 15.11.1789, gestorben am 5.12.1827; Konrad, geboren am 17.10.1791, gestorben am 1.2.1792; Elisabetha, geboren am 7.12.1792, gestorben am 13.2.1797; Konrad, geboren am 27.1.1795, gestorben am 1.2.1795; Johann Peter, geboren am 14.5.1798, gestorben am 10.2.1800; Johann Martin, geboren am 11.11.1799, gestorben am 12.1.1800. Von den neun Kindern sind mithin sechs im Kindesalter gestorben; nur drei haben H. überlebt.

Von diesen drei überlebenden Kindern mochte H. besondere Hoffnungen auf den Sohn Joseph gesetzt haben, der 1803 bis 1807 das Gymnasium in Feldkirch besucht hat. Möglicherweise musste er 1807 wegen der Beteiligung seiner Mutter am Aufstand sein Studium abbrechen. Doch schrieb er sich 1810 am Königlichen Lyzeum in Innsbruck ein, wechselte aber kurz darauf an die Universität Landshut, um dort den philosophischen Kurs in einem Jahr abschließen zu können. Er immatrikulierte sich am 28. Dezember 1810 in Landshut für das Studium der Philosophie. Dem Sohn von H.s Mitstreiterin Joseph Anton Schoch, der die Landärztliche Schule in München besuchte, wurde wegen der Beteiligung der Familie (neben der Mutter auch vier Töchter) am Aufstand 1810/11 ein Stipendium verweigert. Ein weiterer Sohn H.s Johannes erlernte das Maurerhandwerk, das er in der Schweiz ausübte.

Die historische Bedeutung von H. beschränkt sich darauf, dass sie – zusammen mit Schoch – den Krumbacher Weiberaufstand von 1807 anführte. Diese Bezeichnung stand von Anfang an in Gebrauch. Es handelt sich, auf eine kurze Formel gebracht, darum, dass Bayern, nachdem es 1806 gemäß dem Pressburger Frieden Vorarlberg in Besitz genommen und eine Reihe von unliebsamen Änderungen in der Verwaltung vorgenommen hatte. Als man nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit Musterungen und „Abmessungen“ begann, stürmten aufgebrachte Frauen am 30. Juni 1807 das Konskriptionsbüro und zerrissen die Akten und Musterrollen. Nachdem sie die Beamten vertrieben hatten, organisierten die Frauen eine Ausweitung ihrer Aktionen auf andere Gemeinden und planten für den 2. Juli 1807 einen Marsch auf Bezau, wo jedoch ein Sturm auf das Landgerichtsgebäude misslang. Bayerisches Militär stellte die Ruhe wieder her. Krumbach wurde ein Strafgeld von 2.000 Gulden auferlegt, Unterlangenegg und Hitttisau mussten je 1.000 Gulden zahlen. H. wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, im Februar 1808 jedoch begnadigt, doch Pfarrer und Ortsvorstehung sollten ein wachsames Auge auf sie halten.

Der Krumbacher Weiberaufstand erscheint wie ein Vorbote des Volksaufstandes von 1809. Tatsächlich handelte es sich aber nur um eine lokale Insubordination, die ihre Ursache in der Person von H. hatte und die zumindest teilweise auf unerfüllbarem Wunschdenken und Missverständnissen beruhte. Im Gegensatz zu der Revolutionärin Olympe de Gouges, die während der Französischen Revolution in zahlreichen Schriften mit großer Konsequenz ein umfassendes Programm entwickelte, das in der Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne von 1791 gipfelte, hatte H. kein Programm. H. war auch keine Revolutionärin, sondern eher das Gegenteil, sie trat für die Bewahrung der alten Rechte ein. Sie wollte jene „alten Glaubenswahrheiten“ erhalten, mit denen sie aufgewachsen war, worunter sie die hergebrachten Feiertage, die Prozessionen und ganz besonders das Benedizieren der Felder verstand. Es wurde die Existenz eines Dekrets kolportiert, wonach künftig für den Empfang der Kommunion 3 1/2 Gulden und für eine Beichte 3 Gulden zu zahlen waren. Für den Fall eines Erfolges wurde eine Landeswallfahrt nach Rankweil (Bez. Feldkirch, Vorarlberg) gelobt. H. trat aber auch für die historische Verbindung von Vorarlberg mit Tirol und mit Österreich, plädierte für die kaiserlichen Privilegien und die hergebrachte Militärverfassung, wonach der Kriegsdienst nur insoweit zu leisten war, dass der Pflichtige am gleichen Tag nach Hause zurückkehren konnte.

Es gab verschiedene persönliche Gründe, die H. zu ihrer Agitation für den „Weiberaufstand“ veranlasst haben mochten. Zum einen steht nach Aussagen ihres Schwagers wie auch des Pfarrers fest, dass schon vor vielen Jahren die Franzosen H. vergewaltigt hatten. Zu denken ist hier an die lange französische Besatzungszeit im Jahre 1800. H. hasste das Militär; es war kein Zufall, dass sie schon einige Zeit vor dem Aufstand gegen die „Messung der Buben“ agitierte und sich ihre Angriffe in erster Linie gegen die Konskriptionsbüros richteten. Als ein weiterer persönlicher Grund mag noch hinzukommen, dass H. bereits sechs Kinder durch den Tod verloren hatte und nicht gewillt war, das Leben der ihr noch verbliebenen beiden Söhne in den napoleonischen Kriegen aufs Spiel zu setzen. Weniger ging es ihr darum, die Söhne, die ohnehin abwesend waren, als Arbeitskräfte für ihren Hof zu erhalten. In diesem Sinne hielt sie auch dem Aktuar Johann Georg Kuttner auf die Frage, ob der zweite Sohn unentbehrlich sei, entgegen: Der Sohn gehöre ihr, und dass niemand nach ihm sich zu bekümmern habe. „Darüber hast du mich nicht zu fragen, er mag entbehrlich seyn, oder nicht, er mag abwesend oder gegenwärtig seyn, er wird nicht gemessen, so wie keiner“. Alle aufständischen Frauen stimmten in dem Ziel überein, keine Männer mehr aus dem Land zu lassen. Männer waren im Bregenzerwald Mangelware, da viele von ihnen außerhalb des Landes einem Broterwerb nachgingen.

H. verband mit dem von ihr angezettelten Aufstand in Verkennung der Wirklichkeit wohl auch die Hoffnung, selbst Macht auszuüben zu können, Regentin bzw. Herrscherin des Bregenzerwaldes zu werden. Längle verweist in diesem Zusammenhang auf den Schriftsteller Ludwig Steub, der noch im späten 19. Jahrhundert im Bregenzerwald Reste eine Gynokratie anzutreffen glaubte.

Die Frage nach dem Geisteszustand der H., aber auch ihrer Anhängerinnen, hat sich von Anfang gestellt. Die Quellen verwenden immer wieder mit Blick auf die Aufständischen Begriffe wie „toben“, „ganz Tollsinnige“, „wie wilde Tiere“, „inneren wilden Zwang“, „verwirrte innere Gemütsstimmung“, „wildem Weibersturm“, sie „schrieen mit wütender Stimme“. Ganz besonderes Entsetzen löste sie durch ihre Kleidung, Aufmachung und Bewaffnung mit Mistgabeln, Messern, Stecken oder Steinen aus. Frauen in Männerkleidern, mit Hosen, mit Männerhüten, Männerstiefeln, Männerröcken, erregten Abscheu; denn damit wurde an den Grundfesten der Vormachtstellung der Männer gerüttelt: die Frauen erheben den Anspruch, die Rolle der Männer zu spielen.

H. selbst wird anfangs als „wahrhaft wahnsinnig“ bezeichnet, ihrem Schwager als „Närrin“ übergeben, sie gibt zu, „vollkommen närrisch“ gewesen zu sein. Sie hatte einen wilden, starren Blick, hatte nachts heftig geschrieen, fiel auf durch rohe Sprache, rohe Gesten, brutales Verhalten. Sie gab zu Protokoll, dass sie nach ihrer Einlieferung nach Bregenz „für einige Zeit den Verstand völlig verloren habe“. Schon nach ihrer Jahre zuvor erlittenen Vergewaltigung war sie dergestalt rasend, „dass sie mehrere Wochen angefesselt gehalten werden musste“. Ein medizinisches Gutachten vom 18. Juli 1807 kam zu dem Schluss, dass H. in den ersten Tagen nach ihrer Verhaftung wahnsinnig gewesen sei, nun aber seit mehreren Tagen nicht mehr wahnsinnig, sondern als Rekonvaleszentin dieser Gemütskrankheit anzusehen sei. Ein weiteres medizinisches Gutachten konnte im Februar 1808 „keine Spur von einer Verstandsverwirrung entdecken“. Auch andere Feststellungen sprechen deutlich gegen die Annahme von Wahnsinn. Der königliche Rat Johann Nepomuk Raiser und der provisorische Kreiskommissär Abraham Kutter, die das Verhör führten, bemerkten am Ende ihres Protokolles: „Schließlich kommt noch zu bemerken, daß diese Person eine seltsame Mischung von Karakter habe, indem dieselbe einen in Religionssachen höchst unaufgeklärten Verstand [hat], in allen übrigen Gegenständen aber einen hellsehenden Kopf vereinth“. Und Magdalena Schoch meinte sogar, sie habe an dem Tage vor dem Zuge nach Bezau noch nichts Närrisches an der H. wahrgenommen, dieselbe hat im Gegenteil so vernünftig gesprochen als Jemand.

Olympe de Gouges wurde am 3.11.1793 auf dem Schafott hingerichtet. Sie wollte keine Macht ausüben, vielmehr war ihr Ziel nur, bekannt zu werden. Lange Zeit blieb sie aber vergessen, noch 1904 hat auch ihr der Arzt Dr. Alfred Guillois in seiner „Étude médico-psychologique sur Olympe de GougesWahnsinn unterstellt. Erst seit den 1980er Jahren fand in ihrer Beurteilung ein grundlegender Wandel statt. Man wandte sich verstärkt ihren Schriften zu und begann damit, stolz auf sie zu sein. Nach zwei Jahrhunderten hat Olympe de Gouges ihr Ziel, eine geschichtliche Bedeutung zu erlangen, erreicht.

H. hatte sich höhere Ziele gesteckt, sie wollte überlebte religiöse und politische Einrichtungen erhalten und strebte für sich an, Herrschaft auszuüben. Mit beiden Zielen ist die kläglich gescheitert, ja sie wurde nicht einmal bekannt. Im „Vorarlberg-Archiv“ wird sie ohne Hinweis auf ihre Lebensdaten nur gestreift, in der „Vorarlberg-Chronik“ wird nicht einmal H.s Name genannt. Bis in die jüngste Zeit fehlte jeder Ansatz zu einer biographischen Skizze oder gar einer Biographie. Erst im Hinblick auf das 200. Jubiläum des Aufstandes hat Ulrike Längle in Vorarlberger und bayerischen Archiven, insbesondere auch im Privatarchiv der Familie von Gravenreuth in Affing (Lkr. Aichach-Friedberg, Schwaben), H.s Biographie erforscht und damit auch die Grundlage für die vorliegende Studie geschaffen. Sie hat überdies auch ein Theaterstück „Tolle Weiber – Aufstand der Krumbacherinnen 1807“ geschrieben, dessen Premiere am 12.7.2007 unter freiem Himmel in Krumbach stattgefunden hat.

Qu.: VLA Bregenz, K. u. OA. Bregenz, Sch. 154, Krumbacher Weiberaufstand 1807; LG Bezau, Sch. 109, Krumbacher Weiberaufstand 1807; LBS, Konrad Herburger, Lingenauer Chronik 1818, 2. Teil, S. 394-412 (Kopie); Manuskript eines Berichts des Krumbacher Kaplans Herburger, um 1830; Familienarchiv Gravenreuth in Affing.

L.: Längle 2009, Burmeister 1999, Bilgeri 1982, Hirn 1907

Karl Heinz Burmeister