Haarer Johanna, geb. Barsch; Ärztin und Schriftstellerin
Geb. Tetschen, Böhmen (Děčín, Tschechien), 3.10.1900
Gest. München, Deutschland, 30.4.1988
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Alois Barsch; Mutter: Anna Barsch. Ihr Bruder starb mit 10 Jahren.
LebenspartnerInnen, Kinder: Heiratete 1924 Dr. Hellmut Weese, der bei der Firma Bayer beschäftigt war und das erste injizierbare Barbiturat erfand. Diese Ehe wurde ca. 1928 geschieden. 2. Ehe mit Dr. Otto Friedrich Haarer, der 1946 Selbstmord beging. Fünf Kinder, u. a. Dr. Anna Hutzel.
Ausbildungen: Besuch der Volksschule in Bodenbach, kam mit 16 Jahren in ein Internat, zunächst im Landerziehungsheim „Haubinda“ und später im Landerziehungsheim „Bieberstein“, wo sie das Abitur ablegte. Danach studierte sie in Heidelberg, Göttingen und München Medizin. Einer ihrer akademischen Lehrer war Prof. Dr. Ferdinand Sauerbruch.
Laufbahn: J. H. arbeitete zunächst im elterlichen Papierwarengeschäft und entschloss sich gegen den Wunsch der Eltern Medizin zu studieren. Sie war Volontärin am Münchner Krankenhaus, danach Fachärztin für Lungenkrankheiten im Sanatorium Harlaching. Nach ihrer zweiten Heirat und der Geburt ihrer Kinder, gab sie den Beruf auf. 1936 wurde sie ehrenamtliche Mitarbeiterin der NSDAP und war als Gausachbearbeiterin für rassenpolitische Fragen in der NS-Frauenschaft tätig. Außerdem engagierte sie sich im „Nationalsozialistischen Volksverein“, im „Hilfswerk Mutter und Kind“ sowie in der „Münchner Mütterschule“. In Vorträgen trat sie vehement gegen den vermeintlichen Verfall der Mutterschaft und der Familie ein. Nach der Geburt ihrer ersten Zwillinge beschäftigte sie sich mit der Säuglingspflege und schrieb zahlreiche Zeitungsartikel ohne jemals eine betreffende Ausbildung absolviert zu haben. Der Verlag Lehmann drängte sie, das Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ zu verfassen. Es diente in den Kursen der Reichsmütterschulungen der NS-Frauenschaft als Lehrmittelgrundlage. Die in diesem Buch vorgestellten Erziehungsvorstellungen sind eng an Hitlers „Mein Kampf“ angelehnt. Sie warnt darin vor zu vielen zärtlichen Gefühlen, vor zu wenig Härte in der Erziehung. Das Buch wurde unter dem Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ zuletzt 1987 herausgegeben. Mit „Mutter, erzähl von Adolf Hitler“ hat Dr. H. ein typisches Kinderbuch des Dritten Reiches geschaffen. Die Feindbilder, allen voran Juden und Kommunisten, werden durchwegs als böse und schlecht dargestellt, unterstrichen von den dazugehörenden Karikaturen, während die Deutschen, und hier natürlich nur die „Arier“, ohne Makel gezeichnet werden. Ziel des Buches ist, das wird besonders am Schluss deutlich, die zuhörenden oder selbst lesenden Kinder zu guten Mitgliedern der HJ oder des BDM zu machen. Das Buch ist in Märchenform geschrieben. Hauptfigur ist Adolf Hitler als Retter der Deutschen und somit als Retter der Welt. Das Vorlesebuch war Pflichtlektüre in vielen Kindergärten obwohl es eigentlich erst ab 8 Jahren empfohlen war. Erst 1985 wurde die Kontinuität der Haarer-Bücher öffentlich in Frage gestellt.
Der Fortsetzungsband trug den Titel „Unsere kleinen Kinder“, ein Buch über Ernährung, Kleidung und medizinische Versorgung der Kinder. Von der Frauenschaft wurde sie auch dazu gedrängt, das „Kinderbuch“ „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“ zu schreiben. 1945 wurde sie verhaftet. Als ihr Mann von ihrem Schicksal erfuhr, nahm er sich das Leben. J. H. verbrachte ein Jahr in drei verschiedenen amerikanischen Internierungslagern, wo sie als Ärztin tätig war und laut ihrer Tochter gezwungen wurde, falsche Diagnosen zu erstellen um sich ihr Essen zu verdienen. Nach der Entlassung versuchte J. H. wieder als Ärztin Fuß zu fassen, erhielt jedoch keine Erlaubnis eine Praxis zu eröffnen. Schließlich wechselte sie in den öffentlichen Dienst und fuhr bis zu ihrer Pensionierung 1965 von Gesundheitsamt zu Gesundheitsamt.
biograph. Mitteilungen, Hinweise: Dr. Anna Hutzel wies in dem Telefongespräch darauf hin, dass ihre Mutter ihre nationalsozialistische Einstellung nie geändert habe. Bis zu ihrem Tod habe man nie über das Dritte Reich mit ihr sprechen können. Probleme innerhalb der Familie seien mit Gewalt gelöst worden, unter der Gefühlskälte der Mutter hätten die Kinder leiden müssen. Telefongespräch Susanne Blumesberger mit Dr. Anna Hutzel am 3.11.2000.
W.: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ (1934, erreichte nach 1945 in zahlreichen „bereinigten“ Versionen und dem späteren Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ eine Gesamtauflage von mehr als 1,2 Millionen Exemplaren), „Säuglingspflege für junge Mädchen. Unterrichtsbuch für Schulen“ (1937), „Mutterschaft und Familienpflege im neuen Reich. Volksbildungskanzlei München des Landesverbandes für nationale Volkserziehung. Basiert auf einem Vortrag mit dem Titel ‚Das verwaiste Kind und seine Stellung in der Volksgemeinschaft’“ (1937), „Unsere kleinen Kinder. Ernährung und Wachstum – Pflege und Kleidung – Entwicklung und Erziehung“ (1937, erschien in weiteren Auflagen bis 1964), „Mutter, erzähl von Adolf Hitler. Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen und Selbstlesen für kleinere und größere Kinder. Mit 57 Strichzeichnungen von Rolf Winkler“ (1939), „Frau sein und gesund bleiben“ (1950), „Gesund und schön durchs Leben gehen. Eine ländliche Gesundheitsfibel“ (1952), „Grosse Kinder – grosse Sorgen. Kinder in der Reifezeit“ (1954, zus. mit Esther von Reichlin), „Unsere Schulkinder“ (1950), „Mein Strickbuch“ (1950), „Die Welt des Arztes. Ein medizinisches Buch für Ausländer“ (1957), „Kinder auf dem Bauernhof“ (1957), „2. Band: Unser Kind und die Erziehung auf dem Lande“ (1959, Mitarbeit), „Deutscher Alltag: Ein Gesprächsbuch für Ausländer“ (1959)
L.: Benz 1988, Berger 2005, Blumesberger 2000, Chamberlain 1996, Chamberlain 1997, König 2000, Berger, Manfred: Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Johanna Haarer. In: Textor, Martin R. (Hg.): Kindergartenpädagogik. Online-Handbuch www.kindergartenpaedagogik.de
Susanne Blumesberger