Gessner Adrienne, geb. Geiringer; Schauspielerin und Schriftstellerin

Geb. Maria Schutz, NÖ, 23.7.1896

Gest. Wien, 23.6.1987

A. G. wird unter dem bürgerlichen Namen Geiringer in Maria Schutz geboren, verbringt aber bereits ihre frühe Kindheit in Wien am Kärntnerring 8, wo sie und ihre ältere Schwester Grete (1892-1970) aufwachsen. Die Mutter der beiden ist die 1867 in Bremen geborene Schauspielerin Christine von Bukovics, der Vater ist der Komponist und Gesangspädagoge Hofrat Professor Gustav Geiringer (*1856 Wien). Er ist an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien als Stimmbildner tätig und erteilt auch seinen beiden Töchtern Gesangs- und Musikunterricht. Katharina Schratt ist eine Freundin der Familie Geiringer, besonders der Großmutter, und Grete und Adrienne Geiringer sind oft bei ihr zu Gast. A. G. lernt 1911 Enrico Caruso kennen und korrespondiert einige Jahre mit ihm. Grete Geiringer macht unter dem Namen Bukovics, dem Mädchennamen ihrer Mutter, am Theater Karriere.

A. will ebenfalls den Beruf der Schauspielerin ergreifen und besucht gemeinsam mit Elisabeth Bergner und Karl Farkas die Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien. Für die Saison 1916/17 wird sie an das Stuttgarter Theater engagiert und macht dort die Bekanntschaft von Raoul Aslan. 1917/18 spielt sie in den Münchner Kammerspielen. A. G. schließt sich der Münchner Bohème an, dadurch hat sie Kontakte zu Ina und Annemarie Seidel, Erich Mühsam und Lion Feuchtwanger, um nur einige ihrer damaligen Bekannten zu nennen. Nach ihrer Zeit in München wird sie an das Wiener Josefstadttheater engagiert; sie trägt ab 1919 den Künstlerinnennamen Gessner. In dieser Zeit lernt sie ihren späteren Mann, den Schriftsteller und Regisseur Ernst Lothar kennen. Er ist zu dieser Zeit noch verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Aus diesem Grund ist die Beziehung zwischen A. G. und Ernst Lothar problematisch. 1930 beziehen sie eine gemeinsame Wohnung in der Karolinengasse im vierten Wiener Gemeindebezirk. 1932 wird ein Haus in Salzburg gekauft. Fast fünfzehn Jahre nach der Bekanntschaft mit A. G. wird Ernst Lothar geschieden und heiratet 1933 seine langjährige Lebensgefährtin.

A. G. spielt ab 1924 im Theater an der Josefstadt. Die junge Schauspielerin wird von Max Reinhardt geschätzt und gefördert. Ab 1935 übernimmt Ernst Lothar die Direktion des Theaters an der Josefstadt. Gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Ernst Lothar wegen jüdischer Herkunft seines Postens enthoben. 1938 flüchten A. G., ihr Mann und Hansi, Lothars Tochter aus erster Ehe, in die Schweiz. Der weitere Emigrationspfad führt die Familie nach Paris; von dort aus treten sie im April 1939 die Überfahrt nach Amerika an. In New York treffen sie das Ehepaar Zuckmayer und Franz Molnar, Bekannte von A. G. und Ernst Lothar, die ebenfalls vor dem Terror des Nationalsozialismus geflohen waren.

A. G. und ihr Mann gründen das „Austrian Theater“, ein sogenanntes Zimmertheater, das wegen zu geringer finanzieller Mittel nach kurzer Zeit wieder geschlossen wird. Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg im Jahre 1941 geht A. G. auf Tournee und spielt unter anderem in Philadelphia, Chicago, San Francisco und Los Angeles. Ernst Lothar lehrt an der Universität von Colorado. Nachdem sie nach New York zurückgekehrt ist, wird sie an den Broadway engagiert. Dort lernt sie auch Otto Preminger kennen.

1945 nehmen A. G. und ihr Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Ernst Lothars Tochter Hansi, die 1941 den späteren Burgtheaterdirektor Ernst Haeussermann geheiratet hat, begeht 1945 Selbstmord. 1946 kehrt A. G. auf Wunsch ihres Mannes mit ihm nach Österreich zurück. Ernst Lothar ist amerikanischer Kulturbeauftragter. A. G. muss feststellen, dass sich das antisemitische Klima in Österreich nach Beendigung der nationalsozialistischen Herrschaft kaum geändert hat. 1949 kehrt das Ehepaar noch einmal kurz nach Amerika zurück. A. G. würde gern in New York bleiben, doch Ernst Lothar, der in der Neuen Welt nie richtig Fuß fassen konnte, drängt auf die endgültige Remigration nach Wien. Wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt, inszeniert Ernst Lothar zunächst einige Stücke am Burgtheater und ab 1952 in Salzburg den „Jedermann“. A. G. ist ab September 1952 am Theater in der Josefstadt engagiert. Sie kann sowohl in Komödien, als auch in Charakterrollen überzeugen. Neben ihrer Tätigkeit am Theater übernimmt sie auch in einigen Spielfilmen kleinere Rollen. 1953-1960 verkörpert sie die „Mutter“ im „Jedermann“. Ab 1955 ist sie Mitglied am Burgtheater. Sie erhält 1950 den Max-Reinhardt-Ring, wird 1960 Kammerschauspielerin, wird 1966 mit der Josef-Kainz-Medaille ausgezeichnet und bekommt 1974 das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen. Bevor A. G. ihre Schauspielerinnenkarriere 1981 beendet, hat sie trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch eine Glanzrolle im Spielfilm: Sie verkörpert die mörderische Großmutter in Ödon von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“.

Trotz ihrer beruflichen Erfolge leidet A. G. seit Anfang der 50er Jahre an schweren Depressionen, die sie in der Schweiz behandeln lässt.

Am 30. Oktober 1971 stirbt Ernst Lothar nach langer schwerer Krankheit in Wien. 1985 erscheint die Autobiografie A. G.s im Wiener Amaltheaverlag. Am 23. Juni 1987 stirbt die Doyenne des Burgtheaters, einen Monat vor ihrem 91. Geburtstag, in ihrer Wiener Wohnung am Kärntnerring.

W.: „Ich möchte gern was Gutes sagen…“ (1985)

L.: Glenzdorf 1987, Petzelt 1973, Röder/Strauss 1980-83, Rühle 1967, Trapp/Mittenzwei 1999, Wedel 2010, AZ 18.1.1985, Die Presse, 23.7.1981, Die Presse, 24.6.1987, FAZ 25.6.1987, Süddeutsche Zeitung 24.6.1987

 

Karin Nusko