Freud Anna; Psychoanalytikerin
Geb. Wien, 3.12.1895
Gest. London, Großbritannien, 8.10.1982
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Sigmund Freud, Psychoanalytiker; Mutter: Martha, geb. Bernays; 5 ältere Geschwister, jüngstes und letztes Kind, besonders enge Beziehung zu ihrem Vater, in seiner „Traumdeutung“ von 1899 mit einem Traumbeispiel erwähnt.
Ausbildungen: Volksschule (1901-1903 privat im 1. Wiener Gemeindebezirk, 1903-1905 öffentlich im 9. Bezirk), 1905-11 „Cottage Lyzeum“ Wien, 1911 Reifeprüfung, 1914-17 private Ausbildung zur Volksschullehrerin.
Laufbahn: 1917-20 Lehrerin an der Volksschule des „Cottage Lyzeum“, dann an der von D. Burlingham gegründeten Schule in der Wattmanngasse, Wien-Hietzing. 1915-18 bei den Visiten Wagner-Jaureggs an der Psychiatrischen Universitätsklinik anwesend. 1914/15 Besuch der Vorlesungen ihres Vaters, 1918-21 Analyse bei ihm. Ab 1918 erster Auftritt in psychoanalytischen Kreisen auf dem 5. Internationalen Kongress in Budapest, Teilnahme an den Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV), im Mai 1922 hielt A. F. ihren ersten Vortrag zum Thema „Über Schlagephantasien und Tagträume“ und wurde Mitglied der WPV. 1923 Eröffnung einer psychoanalytischen Praxis in Wien 9, Berggasse 19, auf der gegenüberliegenden Seite des Vorzimmers von S. Freuds Ordination. Mit der Gründung des Lehrinstitutes der WPV 1925 übernahm A. F. Aufgaben als Lehr- und Kontrollanalytikerin und wurde 1925 Schriftführerin des Lehrausschusses. 1924 Aufnahme in das „Geheime Komitee“. 1927 erschien das Buch „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“, eine Sammlung von Vorlesungen, die sie 1926/27 im Wiener Lehrinstitut abgehalten hatte. Für ihren 1923 an Krebs erkrankten Vater übernahm A. F. eine Vielzahl an Pflichten. 1927 wurde sie Sekretärin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 1935, nach der Emigration von Helene Deutsch, Übernahme der Leitung des Wiener Lehrinstituts. 1936 erschien ihr Hauptwerk „Das Ich und die Abwehrmechanismen“, das für die Entwicklungspsychologie und die neu entstehende analytische Ich-Psychologie einen wesentlichen Beitrag leistete. A. F.s besonderes Interesse galt der Kinderanalyse. Die erforderlichen Änderungen der in der Erwachsenenanalyse entwickelten analytischen Technik für die Behandlung von Kindern waren für sie von besonderem Interesse. A. F. arbeitete an der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik“ mit. Ab 1927 kam es wiederholt zu theoretischen Auseinandersetzungen zwischen ihr und der in England lebenden Kinderanalytikerin Melanie Klein. Innerhalb der Wiener Vereinigung hielt A. F. zahlreiche Kurse und Seminare über die Theorie und Technik der Kinderanalyse; sie sprach u. a. vor PädagogInnen und HorterzieherInnen auch öffentlich zu diesem Thema. Bedeutsam für die Kinderanalyse wurde ihr Konzept der „Entwicklungslinien“. Gemeinsam mit Dorothy Burlingham und Edith Jackson eröffnete A. F. im Februar 1937 eine Kindertageskrippe − die Jackson Nursery − in Wien. 1938 wurde diese Einrichtung aufgelöst. Zu Pfingsten 1938 floh A. F. mit ihrem Vater über Paris nach London. Sie wurde nach der Auflösung der WPV Mitglied der British Psychoanalytical Society und war als Lehr- und Kontrollanalytikerin und im Lehrausschuss tätig. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1939 veranlasste sie die Herausgabe seiner „Gesammelten Werke“. 1941 Eröffnung des Kriegskinderheims „Hampstead War Nurseries“ (gem. mit D. Burlingham), das 1945 wieder geschlossen wurde. 1947 Gründung des „Hampstead Child Therapy Course“, einer Ausbildungsstätte für KinderpsychoanalytikerInnen, 1952 Eröffnung der „Hampstead Clinic“, einer daran angeschlossenen psychosomatischen Kinderklinik. Sie leitete diese Klinik bis zu ihrem Tod. A. F. war am Aufbau der Freud-Archives in der Library of Congress, Washington, beteiligt sowie an der dreibändigen Freud-Biografie von Ernest Jones. Ab 1945 Beteiligung an der Herausgabe der Zeitschrift „The Psychoanalytic Study of the Child“.
Mitglsch., Ausz.: WPV, gem. mit Marianne Kris, Ernst Kris, Anni Katan, Robert Wälder, Wilhelm Reich und Jeanne Lampl-de Groot Mitglied des „Kinderseminars“, so genannt nicht wegen Kinderanalyse, sondern wegen der jungen Mitglieder der Vereinigung, die sich gegenüber der ersten Generation als Kinder fühlten. Internationale Psychoanalytische Vereinigung, British Psychoanalytical Society. Mai 1920 Gemmenring, den bis dahin nur die 7 Mitglieder des 1912 von Ernest Jones gegründeten psychoanalytischen Komitees erhalten hatten; zahlreiche Ehrentitel verschiedener Universitäten und Länder, z. B. Ehrendoktorat der Rechtswissenschaften der Harvard und der Yale University für psychoanalytische Kurse für Jusstudenten, 1964 Doctor of Science des Jefferson Medical College, Mai 1972 Ehrendoktorat der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, Commander of the British Empire. Qu.: Library of Congress, Washington D.C.
W.: „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“ (1927), „Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen. Vier Vorträge“(1930), „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ (1936), „Young Children in War-Time. A Year’s Work in a Residental Nursery” (1942, mit Dorothy Burlingham), „Infants without Families. The Case for and Against Residental Nurseries” (1942, mit Dorothy Burlingham), „Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung“ (1968)
L.: Besser 1977, Biermann 1973, Blimlinger 1999, ÖNB 2002, Bolland/Sandler 1979, Denker 1995, Edgcumbe 2000, Fischer 2004, Goldstein 1984, Hildebrandt 2002, Huber 1977, Kerbl 1992, King 1991, Kratzer 2001, Leupold-Löwenthal 2002, Mänchen 1979, Mühlleitner 1992, Neubauer 1984, Olvedi 1992, Peters 1979, Salber 1985,
Steiner 1973, Weinzierl 1975, Wistrich 1999