Durieux (Ps.) Tilla, eigentl. Goddefroy Ottilie, verh. Spiro, verh. Cassirer, verh. Katzenellenbogen; Schauspielerin und Schriftstellerin
Geb. Wien, 18.8.1880
Gest. Berlin, Deutschland, 21.2.1971
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Professor am TGM Wien.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1904 Heirat mit Eugen Spiro, Maler, 1906 geschieden; 1910 Heirat mit Paul Cassirer (1871-1926); 1930 Heirat mit Ludwig Katzenellenbogen, Fabrikant und Generaldirektor von Schultheiß-Patzenhofer, 1941 in Kroatien verhaftet und in das Deutsche Reich deportiert, 1943 als Gestapo-Häftling zu Tode gekommen.
Ausbildungen: Ab 1886 Ausbildung zur Pianistin. 1899-1901 Besuch der Theatervorbereitungsschule des Hofschauspielers Karl Arnau in Wien.
Laufbahn: O. G. nimmt als KünstlerInnennamen den Mädchennamen der Großmutter väterlicherseits an. 1901 Debüt in Olmütz, trat im Jahr darauf in Breslau auf und ging 1903 zum Reinhardt-Ensemble nach Berlin Gab 1905 ein Gastspiel mit „Ein Sommernachtstraum“ in Wien und auch Gastspiele in der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich, Jugoslawien, Prag, Budapest, Stockholm, Oslo und New York. In Berlin machte sie die Bekanntschaft mit dem wohlhabenden Kunsthändler und Verleger („Panpresse“) Paul Cassirer, den sie 1910 heiratete. Über Cassirer fand sie Eingang in die Berliner Kunstszene. Als Schauspielerin beginnt ihre große Karriere unter Otto Brahm am Lessing-Theater (Hauptrolle in Henrik Ibsens „Hedda Gabler“, 1912; Hanna Elias in Gerhard Hauptmanns „Gabriel Schillings Flucht“; Liane in Heinrich Manns „Die große Liebe“ u. a.). Sie machte die Bekanntschaft Frank Wedekinds (1907 Rolle der Gräfin Werdenfels in „Der Marquis von Keith“ und 1913 der Lulu in „Die Büchse der Pandora“), mit dem Maler Emil Orlik (der Kostümentwürfe für T. D. schuf, u. a. für die Rolle der Katharina in „Spielereinen einer Kaiserin“ von Max Dauthendey) und Auguste Renoir, der sie portraitierte. 1914 meldete sich Paul Cassirer als Freiwilliger zum Kriegsdienst, und T. D. stellte sich als Krankenschwester zur Verfügung. 1917-18 verbrachte sie gemeinsam mit Cassirer, der aufgrund seiner guten Frankreich-Beziehungen mit einer geheimen Friedensmission beauftragt war, in der Schweiz. Sie beteiligte sich finanziell an der Verlagsgründung Rascher & Co. (für die Publikation pazifistischer Bücher) und unterstützte auch die inhaftierte Sozialistin Rosa Luxemburg. Während der Münchner Räterepublik 1919 hatte sie Auftritte am Nationaltheater in München („Medea“; „Totentanz“). Sie unterhielt Kontakte zu Karl Kautsky, Heinrich Mann, Kurt Eisner und Ernst Toller. 1923/24 hatte sie anlässlich einer Geschäftsreise ihres Mannes ein Gastspiel in New York. 1925 gastierte sie in Wien (Deutsches Volkstheater). 1926 verübt Cassirer Selbstmord. Zwei Jahre später veröffentlicht sie ihren ersten Roman („Eine Tür fällt ins Schloss“), der von der deutschen Presse skandalisiert wurde − nicht nur als Schlüsselroman über die Kulturszene Berlins, sondern wohl auch wegen der offenen Sprache in Sachen Erotik und Homosexualität. T. D. unterstützte finanziell Erwin Piscators Bühnenprojekt und war Ensemblemitglied der ersten Piscator-Bühne (Theater am Nollendorfplatz, Berlin). (Hauptrolle in Leo Lanias „Konjunktur“ (1928)), Außerdem beteiligte sie sich an Heinrich Georges „Theater der Schauspieler“ (1932). 1933 flüchtete sie mit ihrem Mann − Katzenellenbogen hatte in Folge der Wirtschaftskrise sein Vermögen verloren und wurde deshalb gerichtlich belangt − nach Paris. Weiterhin hielt T. D. Gastspiele (mit Max Alserbergs Stück „Konflikt“) in Zürich, Prag, Wien, Straßburg, Paris und Skandinavien. Nachdem die deutschen Pässe abgelaufen waren, erwarb sie die hondurianische Staatsbürgerschaft. Der Versuch, sich in der Schweiz (Ascona) niederzulassen, scheiterte allerdings. 1934 ging T. D. nach Zagreb. Sie hatte Gastspiele mit Ernst Deutsch als Wassilissa in Maxim Gorkis „Nachtasyl“ (1937 und 1938 in Wien mit Albert Bassermann) und als Frau Alving in Henrik Ibsens „Gespenster“ (Paris, 1938). Zwischen 1936-38 leitete sie ein Hotel in Abbazia/Opatija („Hotel Cristallo“, an dem L. Katzenellenbogen Teilhaber war). Wegen der politischen Situation und der persönlichen Gefährdung nahm sie ab 1939 keine weiteren Gastspieleinladungen mehr an. Versuche, in die USA zu gelangen, scheiterten an den Durchreisevisa für Griechenland.
Ausz., Mitglsch.: T. D. wurde mit vielen Ehrenmitgliedschaften ausgezeichnet (Deutsche Akademie der Darstellenden Künste Hamburg − heute Frankfurt, Ensemble Schiller-Theater, Freie Volksbühne (Berlin-West), Deutsches Theater, 1959 Ehrenmitglied der Deutschen Akademie der darstellenden Künste), 1960 Bundesverdienstkreuz erster Klasse, 1963 Staatsschauspielerin, Westberlin, 1965 Bundesfilmpreis, 1967 Ernst-Reuter-Plakette, Professorentitel des Landes Nordrhein-Westfalen, 1968 Silver Plaque der Calcutta Art Council, 1969 Officier, Ordre des Palmes Académiques, Ehrendoktorate, unter anderem der Universität Münster.
Qu.: Tagblattarchiv (Personenmappe).
L.: Bab 1926, Bolbecher/Kaiser 2000, Kosch 1953 ff., ÖNB 2002, Rai 2005, Bortenschlager 1982, Seeber 2003, Trapp/Mittenzwei, Wedel 2010, Fontana, O.M.: Ein Wiedersehen mit Tilla Durieux. In: Die Neue Zeitung Nr. 291, 1951