Burjan Hildegard, geb. Hildegard Lea Freund; Vereinsgründerin und Nationalrätin
Geb. Görlitz an der Neisse, Österr.-Schlesien (Deutschland), 30.1.1883
Gest. Wien, 11.6.1933

Herkunft, Verwandtschaften: Als zweite Tochter einer bürgerlich-liberalen, konfessionslosen Familie jüdischer Herkunft geboren. Vater: Abraham Adolph Freund (1842-1905), Kaufmann; Mutter: Berta, geb. Sochaczewska (1853-1917). Schwester: Alice (1879-1963), Turn- und Arbeitslehrerin.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1907 Heirat. mit Alexander Burjan, Generaldirektor der Österreichischen Telephonfabrik AG. Tochter: Elisabeth (*1910), emigrierte später nach England.
Ausbildungen: Volksschule in Görlitz, ab 1895 Mädchenlyceum Charlottenburg (Berlin), 1899 Großmünsterschule (Zürich), Matura 1903. Studierte an der Universität Zürich (Germanistik und Philosophie),1908 Dr.phil. magna cum laude, Studium an der Universität Berlin (Nationalökonomie und Sozialpolitik).

Laufbahn: Übersiedelte 1907 mit ihrer Mutter nach Berlin. H. B. konvertierte zum Katholizismus. Ein Nierenleiden machte einen siebenmonatigen Krankenhausaufenthalt nötig. Ging 1909 nach Wien. Im Februar 1910 nahm sie am Sozialen Kurs teil, der den Ersten Österreichischen Katholischen Frauentag vom 29. März bis 2. April 1910 vorbereitete. Dieser Frauentag sollte die verschiedenen katholischen Frauenorganisationen, die seit 1907 in der Katholischen Reichsfrauenorganisation zusammengefasst waren, stärken. Nach der Geburt ihrer Tochter Elisabeth, einem sechswöchigen Krankenhausaufenthalt und einigen Monaten zu Hause begann sie ihr sozial-karitatives Engagement. Sie organisierte 1911 die Heimarbeiterinnen, am 13. Dezember 1912 konstituierte sich unter ihrem Vorsitz der Verein Christlicher Heimarbeiterinnen mit 72 wirklichen und 50 unterstützenden Mitgliedern, als Gegeninitiative zu den 1200 sozialdemokratisch organisierten Wiener Heimarbeiterinnen. Am Zweiten Österreichischen Katholischen Frauentag am 16. April 1914 in Wien sprach sie zu „Kinderelend und Heimarbeit“. H. B. baute während des Ersten Weltkrieges das Hilfswerk für die notleidenden Erzgebirgler auf, engagierte sich im Verein „Soziale Fürsorge für erwerbslose Frauen und Mädchen“, war Präsidentin der „Sozialen Hilfe“ und Vorsteherin des Reichsverbandes Katholischer Arbeiterfrauen. In Zusammenarbeit mit den Militärbehörden wurden vom Dachverband „Soziale Hilfe“ Lebensmittel- und Arbeitsverteilungsstellen für Mitglieder in Wien gegründet. Gründete 1918 (1919) die „Caritas Socialis“, da sie erkannte, dass die erste Vorraussetzung wirkungsvoller sozialer Arbeit tüchtige, geschulte Kräfte sind. H. B. leitete diese, die etwas später zu einer statutenmäßig zusammengeschlossenen Schwesternschaft wurde, von Prälat I. Seipel beraten, bis zu ihrem Tod. Mitglied der Frauenkommission im Ministerium für soziale Fürsorge, als Vertreterin der christlichen Arbeiterinnen Wahl in den provisorischen Wiener Gemeinderat, der sich am 3. Dezember 1918 konstituierte; am Ersten christlichen Arbeiterkongress 21.-23. September 1918 in Wien als Stellvertreterin von Leopold Kunschak im Vorbereitungskomitee, Referat über die veränderte Position der Frauen in der Gesellschaft durch den Krieg, über fehlenden Arbeiterinnenschutz, ungerechte Entlohnung und über das Frauenwahlrecht, zu dem sich die Katholikinnen erst 1917 bekannt hatten; Organisierung des Ersten christlichsozialen Arbeiterinnentages am 5. Mai 1918, Leitung der ersten „politisch“ genannten Versammlung christlicher Frauen am 24. November 1918, Vorsitzende des Vereins „Frauenrecht“, am 11. Dezember 1918 als einzige Vertreterin der CSP Mitglied im Ausschuss zur Beratung über ein neues Gemeindewahlrecht und eine neue Gemeinderatsverfassung, am 15. Dezember 1918 als „Obmannstellvertreter“ Mitglied der Parteileitung der CSP Wiens und am Reichsparteiparteitag 1920 in die Gesamtparteileitung gewählt; im Arbeitsausschuss, der die christlichsoziale Frauenpolitik am Beginn der Republik formulierte, Referat bei der Schulungswoche für katholische Funktionärinnen vom 9. bis 16. Mai 1920 zu „Warum und wie organisieren wir uns als katholische Frauen“; als einzige Frau für den sechsten Wiener Wahlkreis. Wahl in die Konstituierende Nationalversammlung, an der ersten Sitzung am 4. März 1919 konnte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen, ihre Angelobung erfolgte am 12. März 1919, Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung CSP 4.3.1919-9.11.1920, Nichtnominierung für die Nationalratswahlen 1920, Gründe waren: Ihre angegriffene Gesundheit, sie war Diabetikerin, der Klubzwang und Konzentration auf ihr karitatives Engagement, jedoch auch Antisemitismus in der eigenen Partei − der Verzicht auf ein sicheres Mandat fiel ihr schwer; im Mai 1920 Zurücklegung des Vorsitzes im Verein Frauenrecht; Gründerin des St. Elisabeth-Tisches, nach dem Tod Seipels folgte ihm als Kardinal Theodor Innitzer, der zum Erschrecken vieler das formelle Rücktrittangebot H. B.s als Leiterin der Caritas Socialis anlässlich seines Amtsantritt annahm. Dass sie verheiratet war sowie ihre jüdische Herkunft dürften dafür ausschlaggebend gewesen sein. Nach einem kollektiven Protest der Schwesternschaft nahm Innitzer dies jedoch wieder zurück. Lernte während ihres Engagements, da dieses vor allem auch Sache des Adels war, nach und nach die oberste Schicht der Monarchie kennen, u. a. wurde sie auch Kaiserin Zita vorgestellt. Kannte auch führende Männer des Klerus, wie Ignaz Seipel und Leute aus dem bürgerlich-wirtschaftlichen Bereich ihres Mannes, mit dem sie Abendgesellschaften gab. Der spätere Heeresminister Carl Vaugoin soll parteiintern vor der Nationalratswahl 1920 erklärt haben, er ließe sich nicht mehr im Wahlkreis seines Wohnsitzes von einer „preußischen Sau-Jüdin“ verdrängen. Die Aufregung um den Aufstieg des Nationalsozialismus, der Tod Seipels, die Schwierigkeiten der Caritas Socialis und die gescheiterte Ehe ihrer Tochter schwächten sie, sie starb an den Folgen ihres alten, wieder akut gewordenen Nierenleidens.
Ausz.: 1998 Seligsprechung. Verkehrsflächenbenennung: Burjanplatz, 1150 Wien, seit 1984.

Qu.: IfZ, Nachlass Motzko; Archiv der Caritas Socialis, der Nachlass wurde bei einer Hausdurchsuchung der Villa H. B.s. durch die Nationalsozialisten zerstört. UA Zürich; AdR, CS-Parlamentsklub, Tagblattarchiv/AK (Personenmappe).
W.: „Reden und Schriften“ (1970)
L.: Autengruber 1995, Hauch 1995, Kratzer 2001, Krebs 1927, Kronthaler 1995, ÖNB 2002, Schödl 1991, Schödl 1995, Schödl 2000, Weinzierl 1975, Zulehner 1989, www.onb.ac.at/ariadne/