Brunner Josefine, geb. Ragnes, Deckname Erika; Hausangestellte und Widerstandskämpferin
Geb. Innsbruck, Tirol, 26.2.1909
Gest. München/Stadelheim, Deutsches Reich (Deutschland), 9.9.1943
J. B. wurde als uneheliches Kind des Kanzlisten Josef Ragnes (geb. 1888 in Kufstein) und der gleichaltrigen Agnes Adam zu Ehrenport aus Schwoich in Innsbruck geboren. Da die Familie Adam einer Verbindung ihrer Tochter mit einem „Bürgerlichen“ nicht zustimmte, wurde das Kind zu den Großeltern Ragnes in Rovereto, Italien, in Obhut gegeben. Erst mit fünfzehn Jahren kam J. B. zu ihren Eltern, die inzwischen verheiratet waren und eine weitere Tochter und einen Sohn hatten, nach Kirchbichl in Tirol. Als Absolventin der Pflichtschule, die anfangs des Deutschen kaum mächtig war, hatte sie wenig Aussicht auf einen Lehrberuf und nahm eine Stelle als Hausangestellte an. Mit dem sozialen Milieu ihrer Familie, nach dem beruflichen Aufstieg des Vaters zum Berg-Offizial bei den Tiroler Montanwerken eine der angesehensten im Ort, brach sie vollständig. Mit siebzehn Jahren heiratete sie den Tischlergesellen Josef Welser. Die Ehe blieb kinderlos. 1932 trat sie der Wörgler Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Partei bei, wo sie den Eisenbahner Alois Brunner (geb. am 2. Jänner 1907 in Deutsch-Matrei) kennen lernte. Nach ihrer Scheidung von Josef Welser 1935 lebte sie mit Brunner zusammen, den sie im August 1938 heiratete. Alois Brunner war Leiter des Stützpunkts Wörgl eines grenzüberschreitenden Netzwerks linker Sozialisten, das der SPD-Funktionär Waldemar von Knoeringen vom Exil aus in Bayern und Österreich ins Leben gerufen hatte. Ziel der Organisation, die in Österreich auch Gruppen der Revolutionären Sozialisten in Innsbruck, Salzburg und Wien (Leitung: Otto Haas) umfasste, war der Austausch von Informationen über die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Geschehnisse sowie die Vorbereitung auf eine Machtübernahme nach der Niederlage des Nationalsozialismus. Da Alois Brunner als bekannter Sozialdemokrat und Teilnehmer am Februaraufstand 1934 politisch belastet war, übernahm J. B. die Aufrechterhaltung des Kontakts zu Waldemar von Knoeringen und zu einzelnen Zweigstellen des Widerstandsnetzes. In der Tschechoslowakei wurde sie für ihre Tätigkeit politisch eingeschult und in modernsten Techniken der Herstellung und Übermittlung geheimer Nachrichten instruiert. Im Rahmen ihrer umfangreichen Kuriertätigkeit in Österreich, Deutschland und der Schweiz sorgte J. B. für die Aufrechterhaltung des Kontakts zu Knoeringen sowie zu einzelnen Zweigstellen der Organisation. Sie übermittelte Nachrichten und Lageberichte, die sie zum Teil selbst verfasste, und nahm an Funktionärsbesprechungen teil. Diese Tätigkeit setzte sie auch nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich fort. Im Jahr 1941 schmuggelte sie aus Deutschland Schusswaffen, Munition sowie Eisenspäne für geplante Sabotageaktionen an Zügen, mit denen Truppen und militärische Ausrüstung durch Tirol transportiert wurden. Anfang 1942 gelang es der Gestapo, das Widerstandsnetz aufzurollen. Am 16. Mai wurden J. und Alois Brunner festgenommen und zusammen mit mehreren Gesinnungsgenossen wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Geheimnisverrat und Feindbegünstigung angeklagt. Während ihrer Haft bei der Innsbrucker Gestapo war J. B. schweren Folterungen ausgesetzt. In der Verhandlung des 6. Senats des Volksgerichtshofs vom 28. Mai 1943 wurde das Ehepaar zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Ein Gnadengesuch von J. B.s Mutter an den Oberreichsanwalt blieb unberücksichtigt. J. und Alois Brunner wurden am 9. September 1943 in der Haftanstalt München/Stadelheim hingerichtet.
Qu.: DÖW 2705, DÖW 3217, DÖW 3383.
L.: Hormayr 2010, Scharnagl/Brückel 1983, Vogl 1968
Christine Kanzler