Blannbekin Agnes; Begine
Geb. vor der Mitte des 13. Jhdts., spätestens 1244
Gest. 10.5.1315

Herkunft, Verwandtschaften: Bauerntochter (laut einer nachträglichen Notiz in einer der überlieferten Handschriften ihrer „Vita et Revelationes“) aus Plambach Pfarre Grünau, Gerichtsbezirk Kirchberg an der Pielach, südwestlich von Sankt Pölten, Niederösterreich); von daher leitet sich auch der Name Blannbekin ab.

Laufbahn: Die einzige Quelle, die ihre Existenz bezeugt, sind die von ihrem Beichtvater, dessen Name nicht eruierbar ist, verfassten „Vita et Revelationes“. Ob und in welchem Ausmaß A. B. auf die Gestaltung Einfluss genommen hat, lässt sich schwer bestimmen. Ihr die alleinige Autorschaft zuzuschreiben (Albrecht Classen), geht wohl zu weit.
Seit ihrer Kindheit war sie von tiefen religiösen Empfindungen geprägt. Mit sieben oder acht Jahren begann sie ihre asketische Lebensführung, gekennzeichnet durch intensive Kasteiungen, dreißig Jahre lang nahm sie kein Fleisch zu sich, täglich mit Ausnahme der Sonntage fastete sie. Mit sechzehn Jahren galt sie als eine devota beginae; sie wird damit als Vertreterin einer Lebensform apostrophiert, die für den österreichischen Raum als nicht typisch angesehen werden kann. Für Wien sind Beginen erst 1314 genannt. Das Beginentum, vornehmlich ein städtisches Phänomen, hatte sich im ausgehenden zwölften Jahrhundert vor allem im Raum des heutigen Belgien und der Niederlande ausgeprägt und sich besonders entlang dem Rhein verbreitet, aber auch im Norden und im Süden Frankreichs und in Deutschland findet es sich. Diese religiöse Lebensform von Frauen fand im Allgemeinen ihren Vollzug außerhalb klösterlicher Kommunitäten und der Ablegung von Gelübden, aber auch außerhalb der Ehe.
A. B. übersiedelte zu einem nicht genau zu ermittelnden Zeitpunkt − vermutlich in den siebziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts − nach Wien. Hier wohnte sie völlig allein in einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung, wahrscheinlich in der Nähe des Minoritenklosters vom Heiligen Kreuz, aus dessen Konvent ihr Beichtvater stammte, und einige Konventsangehörige standen im Zentrum von Visionen der A. Sie dürfte über ein bestimmtes Vermögen verfügt haben, wenngleich unklar ist, wie sie ihren Lebensunterhalt finanzierte. Sie lebte zwar in Wien, stand aber mit ihren Verwandten weiterhin in Verbindung. Hin und wieder verreiste sie. Gleichwohl traf sie sich mit gleichgesinnten Frauen, aber es lässt sich nicht sagen, ob diese auch die Lebensform von Beginen gewählt hatten. Genauso wenig lässt sich beurteilen, ob A. mit anderen Frauen irgendwann dem dritten Orden der Franziskanerinnen (Franziskanertertiarinnen) angehörte. Dieser ist im Jahr 1306 in Wien nachweisbar.
Ebenso schwierig ist es auch die Frage nach ihrer religiösen Erziehung und Ausbildung zu beantworten. Offensichtlich war sie des Lesens kundig. Die Horen scheinen ihr besonders wichtig zu sein. Aus der Lektüre einschlägiger theologischer Texte, der gewissermaßen ständigen Teilnahme an Gottesdiensten, durch das Hören von Predigten und durch den intensiven Kontakt mit ihrem Beichtvater könnte sie ihr theologisches Wissen gespeist haben. Jedoch ist in Evidenz zu halten, dass es ihr Beichtvater war, der die „Vita et Revelationes“ aufzeichnete, und sich darin vielmehr dessen eigenes Wissen spiegelt. Den Predigermönch Berthold von Regensburg (†1272), der 1262/63 in Österreich und Mähren gepredigt hat, schätzt sie ebenso hoch ein wie den Kirchenvater Ambrosius (339-373).
Ihre alltägliche religiöse Existenz zeichnete sich aus durch Askese, permanenten Frömmigkeitsübungen, mystischen Erlebnissen bis hin zu regelrechten Ekstasen, wohl Ausfluss übersteigerter asketischer Praxis und der intensiven Hingabe an ein Gott gewidmetes Leben. Daher rührt wohl auch ihr häufiges Kranksein und ihre körperliche Schwäche, wenngleich ihre nahezu hysterisch religiös anmutende Lebensweise Lebenselixier und -sinn war. Tagtäglich schien sie die Messe in den verschiedenen Kirchen Wiens − namentlich angeführt werden Sankt Stephan, Sankt Michael und Sankt Jakob −, zu besuchen um die Predigten zu hören und die jeweiligen Ablässe zu erlangen, wobei sie die Altäre der Kirchen als Zeichen ihrer Ehrfurcht zu küssen pflegte. Auch an den Stundengebeten der Franziskaner nahm sie teil. In der Passionszeit war es ihre Gewohnheit 5000 Vaterunser und das Ave Maria zu beten, sich dabei niederzuknien und sich dann auf den Boden zu werfen. Am Karfreitag geißelte sie sich. Besonders wichtig ist ihr die Kommunion, die sie so häufig wie möglich und einhergehend mit dementsprechender Vorbereitung durch Bußübungen und verbunden mit dem Bekenntnis der Sünden zu empfangen trachtet. Viel Zeit dürfte sie auch mit ihrem Beichtvater verbracht zu haben.
Ihr gesamtes Leben erscheint am Gang des Kirchenjahres orientiert. Ihre erste Vision hatte sie am Tag des heiligen Michael (29. September) 1281. Die Visionen sind ein Forum, Kritik an ihrer Umwelt zu üben. Sie kritisiert das unwürdige Verhalten von Priestern, wenn es zum Beispiel einem Zelebranten an der notwendigen Andacht bei der Messfeier mangelt oder ein Priester eine Jungfrau schändet und hernach die Messe feiert, aber auch wenn das Predigen dazu dient, der eigenen Gefallsucht und den Eitelkeiten zu frönen. Ebenso wenig wird der ihr sehr verbundene Minoritenorden von Kritik verschont, gleichermaßen kommt der zuständige Diözesan ob der Verhängung des Interdikts nicht ungeschoren davon.
Allerdings beschränkt sich ihre Kritik nicht bloß auf die Vertreter des Klerus, sondern sie bezog auch die weltlichen Angehörigen der städtischen Gesellschaft mit ein. Ihre Schelte bezieht sich auf deren Unkeuschheit oder Eitelkeiten. Den Ehefrauen stellt sie einen regelrechten Verhaltenskodex vor Augen.
A. B.s Mystik wird als street mysticism (Ulrike Wiethaus) charakterisiert, das mystische Erleben steht im engen Konnex mit dem städtischen Umfeld und den städtischen Plätzen und Räumen, wo sich das alltägliche Leben abspielt, im Unterschied zur Mystik, deren Bilder sich aus der höfischen Welt speisen (courtly mysticism).
Am 10. Mai 1315 ist sie laut der Schlussanmerkung der Straßburger (mittelhochdeutsche Fassung) und Neresheimer Handschriften (14. Jahrhundert) vermutlich 71-jährig verstorben.

L. u. a.: Bynum 1991, Classen 1998, Dinzelbacher 1992, Dinzelbacher/Vogeler 1994, Ferrante 1997, Fößel/Hettinger 2000, Oppl 1998, Schmidt 1997, Slywa 1999, Stoklaska 1987, Stoklaska 1988, Wehrli-Johns 1998, Wiethaus 2002

Ingrid Roitner