Andreas-Salomé, Lou

Louise von Salomé, Ps. Henry Lou; Psychoanalytikerin und Schriftstellerin
Geb. Sankt Petersburg, Russland, 12.2.1861
Gest. Göttingen-Hainberg, Deutsches Reich (Niedersachsen, Deutschland), 5.2.1937

Herkunft, Verwandtschaften: Sechstes Kind und einzige Tochter des russischen Generals Gustav von Salomé und Louise Wilm.
LebenspartnerInnen, Kinder: heiratet 1887 Friedrich Carl Andreas, Orientalist.
Ausbildungen: Sie erlebt eine Kindheit im Schutze der wohlhabenden europäischen Einwandererkreise und genießt eine Ausbildung, die den Grundstein für ihre lebenslange Affinität zu Philosophie und Literatur legt. Sie besucht die englische Vorschule und das protestantische Petre-Gymnasium in St. Petersburg. 1880 reist sie in Begleitung ihrer Mutter nach Zürich, um Kunstgeschichte, Philosophie und Theologie zu studieren.
Laufbahn: Die Reaktion ihres Körpers auf das leidenschaftlich betriebene Studium legt einen Kuraufenthalt nahe. 1881, auf einer Erholungsreise nach Rom, findet sie Zugang zum Kreis von Malwida von Meysenbug. Hier lernt sie den deutschen Philosophen Paul Rée und über ihn den damals noch unbekannten Philosophen Friedrich Nietzsche kennen. Diese Begegnung gab und gibt bis heute Anlass zu zahlreichen Spekulationen, die vor allem um die Art der Beziehung zwischen den drei jungen Menschen kreisen. Sie planen die Einrichtung einer „Wohn- und Studiergemeinschaft“ zu dritt in Berlin. Dieses Projekt scheitert jedoch an den Heiratsanträgen der beiden jungen Männer sowie an der Absage an beide durch die junge Frau. Friedrich Nietzsches Verehrung für L. v. S. schlägt daraufhin in Hass um. Sie gibt ihrer Affinität zu seinem Denken bzw. ihrem Einfühlungsvermögen in dieses in ihrem 1894 veröffentlichten Buch „Friedrich Nietzsche in seinem Denken“ Ausdruck.
In den nächsten Jahren unternimmt sie zahlreiche Reisen mit dem Vertrauten Paul Rée. 1893 veröffentlicht sie unter dem Pseudonym „Henry Lou“ ihren ersten Roman „Im Kampf um Gott“. Die schriftstellerische Tätigkeit ermöglicht ihr finanzielle Selbständigkeit gegenüber der Familie. Im Laufe ihres Lebens schreibt sie zahlreiche Romane, Erzählungen, Theaterkritiken, Buchbesprechungen und wissenschaftliche Aufsätze. Zu ihrer Zeit ist sie eine der meist gelesensten Autorinnen, die in renommierten Verlagen wie Diederichs und Fischer veröffentlicht.
Auch nach ihrer Heirat mit dem um einige Jahre älteren Orientalisten Carl Friedrich Andreas führt L. A.-S. ihren bisherigen Lebensstil weiter, welcher durch Kontakte mit europäischen Intellektuellen und zahlreiche Reisen gekennzeichnet ist.
Durch den schwedischen Arzt Poul Bjerre, einem Anhänger Freuds, wird sie auf die Psychoanalyse aufmerksam gemacht. 1912 und 1913 besucht sie in Wien Freuds Vorlesungen und nahm als eine der wenigen Frauen an den frühen Diskussionsabenden der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung teil. In ihren Tagebuchaufzeichnungen, die unter dem Titel „In der Schule bei Freud“ publiziert wurden, nimmt sie Stellung zu den damals vieldebattierten Themen wie Narzissmus, Frau und Mann, Geschlecht und Subjekt. Es zeigt ein lebendiges Bild des Zustandes und der Verfassung der „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“, aber auch des neuen „Vereins für Individualpsychologie“ und bietet wichtige Einblicke in die Arbeits- und Diskussionsweise der frühen psychoanalytischen Bewegung. Mit Sigmund Freud führt sie bis zu ihrem Lebensende einen ausführlichen Briefwechsel, der die Wichtigkeit dieser intellektuellen und geistigen Beziehung dokumentiert. Er bezeichnete sie als den „Dichter der Psychoanalyse“, während er nur Prosa schreibe. Mit Anna Freud verband sie eine lebenslange Freundschaft, die von persönlichem und wissenschaftlichem Austausch getragen war.
1923 wird sie von Freud gebeten, nach Königsberg zu gehen, wo sie für ein halbes Jahr als Lehranalytikerin tätig ist und fünf Ärzte in Lehranalyse nimmt. Dies geschieht zu einer Zeit, in der die psychoanalytische Ausbildung sukzessive formalisiert und geregelt wird und u. a. die Forderung nach einer längeren Dauer der eigenen Lehranalyse laut wird. Im Falle L. A.-S.s ist Freud jedoch bereit, auf diese Forderung zu verzichten. Nach ihrer Rückkehr nach Göttingen praktiziert sie als Psychoanalytikerin, verfasst literarische Arbeiten und psychoanalytische Abhandlungen. Nach dem Tod ihres Mannes Andreas, mit dem es zuletzt eine Wiederversöhnung und Wiederbegegnung gab, sowie ihres Freundes Rainer Maria Rilke, der auch ihr Analysand war, vereinsamte sie mehr und mehr. In den letzten Jahren verhärteten sich die Anfeindungen, denen sie sowohl aufgrund ihres unkonventionellen Lebensstils als auch – vor allem nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler – aufgrund ihrer Arbeit als Psychoanalytikerin ausgesetzt ist. Sie stirbt 1937 an Krebs.

„Ich kann weder Vorbildern nachleben, noch werde ich jemals ein Vorbild darstellen können für wen es auch sei, hingegen mein eigenes Leben nach mir selber bilden, das werde ich ganz gewiß, mag es nun damit gehen wie es mag.“ (Lebensrückblick 1935)

Werke

„Eintragungen. Letzte Jahre. Hg. v. Ernst Pfeiffer“ (1982), „Fenitschka. Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen. Hg. v. Ernst Pfeiffer“ (1983), „In der Schule bei Freud. Tagebuch eines Jahres 1912-1913. Hg. v. Ernst Pfeiffer“ (1983), „Die Erotik. Vier Aufsätze. enthält: ‚Der Mensch als Weib’ (1898), ‚Gedanken über das Liebesproblem’ (1900), ‚Die Erotik’ (1910), ‚Psychosexualität’ (1917)). Hg. v. Ernst Pfeiffer“ (1985), „Rodinka. Russische Erinnerung (1923)“ (1985), „Lebensrückblick. Grundriß einiger Lebenserinnerungen. Aus dem Nachlaß hg. v. Ernst Pfeiffer“ (1985), „Rainer Maria Rilke. (1927). Mit Fotografien der Erstaufgabe. Hg. v. Ernst Pfeiffer“ (1988), „Das zweideutige Lächeln der Erotik. Texte zur Psychoanalyse. Hg. v. Inge Weber u. Brigitte Rempp“ (1990).

Literatur / Quellen

Deimel 2002, Göllner 1999, Gropp 1988, LeRider 1990, Leupold-Löwenthal 1986, Rottensteiner 1991, Rottensteiner 1996, Salber 1990, Welsch/Wiesner 1988

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