Wittgenstein Helene (Lenka), verh. Salzer; Hausfrau und Amateurmusikerin
Geb. Dornbach bei Wien, 23.8.1879
Gest. Wien, 7.4.1956
Der Vater Karl Wittgenstein (1847-1913) galt als Stahl- und Kohlemagnat als einer der bedeutendsten Industriellen der späten Donaumonarchie. Die Mutter Leopoldine Kallmus (1850-1926) stammte aus einer Wiener Kaufmannsfamilie. Obwohl schon in der zweiten Generation getauft, waren beide Eltern überwiegend jüdischer Herkunft und u. a. mit den Familien Figdor und Joachim verwandt. Ihre beiden jüngsten Brüder schrieben Geschichte: Paul (1887-1961), der im 1. Weltkrieg seine rechte Hand verloren hatte, wurde als „einarmiger Pianist“ berühmt, Ludwig (1889-1951) gilt als einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Ihr Mann Dr, Maximilian Salzer (1868-1941), der aus einer Siebenbürger protestantischen Pfarrersfamilie stammte, war ein gehobener Ministerialbeamter. Ihr Sohn Dr. Felix Salzer (1904-86) war ein bedeutender Musikwissenschafter.
H. W.-S. wurde am 23. August 1879 als fünftes von acht Kindern des Ehepaares Karl und Leopoldine Wittgenstein in Dornbach (heute 17. Bezirk) bei Wien geboren. Sie wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf und erhielt ihre Ausbildung bei Privatlehrern, wobei insbesondere die künstlerisch-intellektuellen Begabungen gefördert wurden. Als „Sandwichkind“ innerhalb der großen Geschwisterschar wurde ihr relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Möglicherweise hat dieser Umstand dazu beigetragen, dass H. als die psychisch Ausgeglichenste in der zu Neurosen neigenden Familie galt. Als „gesellig“ und „fröhlich“ beschrieben heiratete sie relativ jung mit zwanzig Jahren den um einiges älteren Ministerialbeamten Dr. Max Salzer und führte mit ihm eine harmonische Ehe, der vier Kinder entsprangen. H. war eine der musikalischsten der Geschwister und führte als begabte Pianistin im privaten Kreis die ausgeprägte Musiktradition der Wittgensteins weiter. Darüber hinaus leitete sie auch eine Chorgruppe. Ihre Gesellschaften in ihrer Wohnung am Brahmsplatz waren in der Familie äußerst beliebt. Insbesondere Ludwig Wittgenstein war seiner unkomplizierten Schwester, mit der er gerne entspannt spaßte, emotional eng verbunden. In der NS-Zeit fungierte H.s „arischer“ Mann als Treuhänder des in die Schweiz verbrachten Vermögens der Wittgensteins. Die Gespaltenheit der Familie in Hinblick auf ihre teilweise jüdische Herkunft wird gerade bei H.s Nachkommen deutlich. Ihr Sohn, der Musikwissenschafter Dr. Felix Salzer (1904-1986) emigrierte in die USA, da ihm infolge seiner Einstufung als „Mischling 2. Grades“ jede berufliche Tätigkeit verwehrt war, währenddem ihre Enkel (die Söhne der Tochter Marie, verh. Stockert) in der deutschen Wehrmacht kämpften. H. S. ist 1956 in Wien verstorben, wo ihre Nachkommen bis heute leben.
L.: Gaugusch 2001, Nedo/Ranchetti 1983, Prokop 2003
Ursula Prokop