Proft Gabriele, geb. Gabriela Franziska Jirsa; Schneiderin und Nationalrätin

Geb. Troppau/Österr.-Schlesien (Opava, Tschechien), 20.2.1879

Gest. Bad Ischl, OÖ, 6.4.1971

Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Schuhmacher; G. P. versorgte nach dem frühen Tod der Mutter (†1892) ihre drei Geschwister.

LebenspartnerInnen, Kinder: 1. 1899 Heirat mit Karl Anton Proft, Metallarbeiter, 1916 Scheidung; Sohn: Karl Johann J. (*1899 – †kurz nach der Geburt); Tochter: Hermine (Minna), verh. Tuna, (1900-1968). 2. Lebensgefährte: Paul Richter (*1877), Trennung im Dezember 1934.

Ausbildungen: Übungsschule, Volksschule, zwei Klassen Bürgerschule.

Laufbahn: Hilfsarbeiterin in einer Weißwäscherei, später Heimarbeiterin und Dienstmädchen. Seit 1896 Mitglied der SDAP und des Arbeiterbildungsvereins „Apollo“. Seit 1902 Kassierin der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen, 1906 Besuch der Arbeiterschule, eines Redekurses und eines Bürokurses. Ab 1908 Sekretärin des sozialistischen Frauenreichskomitees und damit dritte Berufspolitikerin der Sozialdemokratie. Zentralsekretärin der SDP Frauenorganisation, 1907-32 als Delegierte der Frauenorganisation Wien 16 bei allen Parteitagen, häufige Diskutantin; ab 1910 Mitglied der sozialistischen Fraueninternationale, seit 1911 Mitglied des Parteivorstandes; Unterricht in den sozialdemokratischen Frauen-Schulen, wo Frauen das für politische Funktionen nötige Wissen vermittelt werden sollte; Obmann-Stellvertreterin in dem im März 1916 von Friedrich Adler reaktivierten Verein der Parteischüler „Karl Marx“, 1918 Gemeinderatsmitglied von Wien, 1919-1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung SDP, 1920-1934 Abgeordnete zum Nationalrat. Nach den Februarkämpfen 1934 mehrere Monate inhaftiert. Illegale Tätigkeit im Rahmen der Revolutionären Sozialisten. G. P. wurde am 15.8.1944 im Zuge einer Verhaftungsaktion gegen polizeibekannte politische Gegner festgenommen und am 15.9.1944 wieder aus der Haft entlassen. Im Jänner 1945 wurde sie neuerlich verhaftet und in der Folge in das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf (NÖ) überstellt. Ab 1945 Mitglied des Frauenzentralkomitees, Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung, 1945-1953 Abgeordnete zum Nationalrat, Mitglied des Parteivorstands der SPÖ, 1945-1959 Stellvertretende Parteivorsitzende der SPÖ, Vorsitzende des Frauenzentralkomitees der SPÖ bis 1959.

Im 1. Weltkrieg zählte G. P. zu den entschiedensten Kriegsgegnerinnen in der österreichischen Sozialdemokratie. Beantragte 1925 als Nationalratsabgeordnete das Gesetz zur Regelung des Hebammenwesens. Setzte sich für die rechtliche Gleichstellung von Lebensgefährtinnen ein und lieferte Grundlagen für Reformvorschläge des Familien- und Eherechts. 1949 maßgeblich an der Bildung der Familienpolitischen Kommission beim Parteivorstand der SPÖ beteiligt. 1951 einzige Rednerin im NR, die das Absurde des Familienrechts, in dem der „Mann als Haupt der Familie“ (§ 91) festgeschrieben wurde, darlegte. Weitere Schwerpunkte ihres Wirkens waren die Erhaltung des Friedens und die Abschaffung der Todesstrafe. Nach ihrem Abgang aus der Öffentlichkeit war G. P. auch in den Folgejahren im Parteileben präsent und wurde zur Kritikerin des sich ändernden Selbstverständnisses der SPÖ.

Ausz.: 1949 als erste Frau „Bürgerin der Stadt Wien“; 1955 Ehrenvorsitzende des Internationalen Rats Sozialdemokratischer Frauen, ab 1959 Ehrenvorsitzende des Frauenzentralkomitees. Verkehrsflächenbenennung: 2002 Gabriele-Proft-Weg in 1220 Wien.

Qu.: VGA Wien, Teilnachlass. WStLa, Tagblattarchiv (Personenmappe), Datenbank „Nicht mehr anonym“, Arbeiterbewegung, DÖW.

W.: „Ein Beitrag zu unserer Jubiläumsfeier. In: Popp, Adelheid (Hg.): Gedenkbuch. 20 Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung“ (1912), „Die Frau als Volksvertreterin. In: Leichter, Käthe (Hg.): Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“ (1930), „Zurück ins Haus. In: Frauentag 1925“, „Der Weg zu uns. Die Frauenfrage im Neuen Österreich. Hg. von der Sozialistischen Partei Österreichs“ (1945), „Adelheid Popp. In: Leser, Norbert (Hg.): Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus“ (1964). Publikationen in der Parteipresse, Broschüren.

L.: Albrecht 1971, Angerer 1989, Augeneder 1987, BLÖF, Buttinger 1972, Dokumentationsarchiv 1995, Hauch 1995, Tidl 1982, Weber 1986, Weinzierl 1975, www.dasrotewien.at, www.onb.ac.at/ariadne/