Morini Erica; Violonistin
Geb. Wien, 5.1.1905 (lt. Geburtenbuch der Stadt Wien)
Gest. New York City, New York, USA, 1.11.1995
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Oiser (Oscar) Morini, aus Triest stammender Besitzer einer Musikschule; Mutter: Malka Morini, geb. Weissmann, Klavierlehrerin aus Czernowitz. Alle Geschwister werden in Wien geboren und gehen später ins Exil: Alice, Pianistin; Stella, Geigerin; Haydee, Tänzerin; Frank, Kunsthändler; Albert, Pianist und Konzertagent.
LebenspartnerInnen, Kinder: Heiratet 1932 Felice Siracusano, amerikanischer Geschäftsmann, Kunst- und Musikliebhaber aus Messina/Italien, die Ehe bleibt kinderlos.
Ausbildungen: Versucht schon mit drei Jahren gehörte Melodien nachzuspielen, erhält den ersten Musikunterricht vom Vater. Beginnt im Alter von 8 Jahren ihr Studium bei Prof. Ottokar Ševčík in der Meisterklasse des Wiener Konservatoriums, die sie in einem Jahr absolviert. Sie nimmt zusätzlich Privatstunden bei Rosa Hochmann-Rosenfeld, Alma Rosè und Adolf Busch.
Laufbahn: Die Eltern, beide assimilierte JüdInnen, lernen sich in Czernowitz kennen und gehen dann nach Wien, um eine Musikschule zu eröffnen. Hier verbringt E. M. den Großteil ihrer Jugend und wächst als viertes von sechs Kindern in einem künstlerisch-musikalischen Umfeld auf. E. M. konzertiert schon als Vierjährige in Kurorten wie Marienbad und Karlsbad, im Alter von fünf Jahren spielt sie vor Kaiser Franz Joseph. Sie ist eine der ersten Frauen an der Wiener Musikhochschule und der bis dato jüngste Prüfling, der je den Aufnahmetest bestanden hat. Sie gilt bereits im Alter von 12 Jahren als voll ausgebildete Violinistin. Als E. M. den Staatspreis gewinnt, verweist die Jury auf die Formulierung der Ausschreibung, Geld gäbe es „für den Mann(!), der…“ – und enthält ihr das Preisgeld vor. E. M. debütiert 1916 als Solistin in Wien und konzertiert unter anderem 1918 mit den Berliner Philharmonikern und 1919 mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Arthur Nikitsch. Sie wird nun als Wunderkind gefeiert und konzertiert erst vor allem in Deutschland und Österreich-Ungarn und bald mit allen großen Dirigenten ihrer Zeit. An ihrem 16. Geburtstag begibt sie sich mit ihrem Vater und ihrer Schwester Alice in die USA, wo sie ihr us-amerikanisches Debüt am 26. Jänner 1921 in der New Yorker Carnegie Hall unter Artur Bodansky mit Violinkonzerten von Mozart, Mendelssohn und Vieuxtemps gibt. Im Anschluss an dieses von der Kritik mit Begeisterung aufgenommene Konzert wird ihr die Guadagnini-Geige der ein Jahr zuvor verstorbenen Geigerin Maud Powell überreicht, die testamentarisch festgelegt hatte, dass ihr Instrument der „nächsten großen Geigerin“ übergeben werden solle. E. M. unternimmt eine europaweite Tournee. Sie geht 1920 in die USA und wird sofort für vier Jahre verpflichtet, außerdem unternimmt sie Konzertreisen u. a. nach Australien und Südamerika. Schon 1920 kommen die ersten Grammophonplatten von ihr auf den Markt. Anlässlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigriert sie 1938 zusammen mit ihrem Ehemann nach New York und nimmt 1943 die us-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Erst 1949 kehrt sie nach Wien zurück, um am 3. und 8. Oktober im Großen Saal des Wiener Musikvereins erst ein Konzert mit dem Pianisten Otto Schulhof, dann ein Symphoniekonzert mit den Wiener Symphonikern unter Rudolf Moralt zu geben. Sie gibt auch weiterhin Konzerte im Ausland, u. a. im fernen Osten, und wird v. a. in Israel und Ägypten besonders gefeiert. E. M. beschränkt jedoch nach und nach ihre Konzerttätigkeit auf die USA und ihr Ruhm in Europa verblasst. In den USA bleibt sie jedoch bis zu ihrem Rückzug aus dem Konzertleben eine gefeierte Künstlerin und bekleidet zahlreiche Ehrenämter an verschiedenen Musikinstituten. Sie gibt bis 1976 Konzerte und erteilt zuletzt am Mannes College of Music in New York Geigenunterricht. Als sie gerade wegen eines Herzleidens in einem New Yorker Krankenhaus liegt, werden aus ihrer Wohnung in der Fifth Avenue ihr gesamtes Archiv mit all ihren Dokumenten, Briefen, Fotos, bedeutenden persönlichen und professionellen Notizen und weiteren persönlichen Gegenständen sowie ihre Stradivari gestohlen. E. M. stirbt bald darauf im hohen Alter von 90 Jahren, der mysteriöse Diebstahl wird nie aufgeklärt.
Ausz., Mitglsch.: E. M. erhält zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1955 das Ehrendoktorat des Smith College in Massachusetts, sowie 1963 das Ehrendoktorat des New England Conservatory of Music in Boston. Die Stadt New York ehrt ihr Lebenswerk 1976 mit der Goldmedaille. Sie ist Ehrenmitglied des Austrian Institute for Science, Art and Economy (N.Y.C.), das für den Bestand österreichischen Kulturguts und die Wiedererrichtung Österreichs kämpft.
Qu.: Tagblattarchiv (Personenmappe); Österreichische Mediathek, Wien: Interview mit Erica Morini. / Oral History Interview mit Opfern des Nationalsozialismus aus Österreich vom 20. August 1987 in Bozen, Signatur 6-20500 (transkribiert in: Applebaum, Samuel und Sada (Hg.). The Way They Play, Book 1. New York: Paganiniana Publications, 1972, S. 137-148); Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien: Berndt Buchbinder. Harlekinade für Violine und Klavier. Repertoire Erika Morini, Wiener Bohème Verlag, 1925. Signatur MS 14780 Mus., sowie Leopold Nowak. Kritiken aus den Jahren 1935/36, chronologisch geordnet. Signatur F110. Nowak, L.798 Mus, Jewish Women’s Archive.
W.: Repertoire: Der Schwerpunkt von E. M.s ungewöhnlich großem Repertoire liegt auf den Werken der Romantik, wobei sie immer auch um die Interpretation von Konzerten weniger oft gespielter Komponisten bemüht ist, darunter sämtliche Violinkonzerte Louis Spohrs.
L.: Campbell 1982, Dokumentationsarchiv 1995, Dudman 2004, Eggebrecht 2000, Flesch 1960, Hartnack 1967, Ostleitner 2003, Pass/Scheit/Svobota 1995, Roeseler 1987, Wininger Bd. 7, Zaimont-Lang 1984, www.aeiou.at, http://www.arbiterrecords.com/notes/107notes.html, http://mugi.hfmt-hamburg.de/