Kleinsasser Etta

Geografin, Bibliothekarin und Ärztin
* Graz, 5.Juli 1881, † Wien, 19. März 1958

Ausbildungen: Sie legte die Matura an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Graz mit Auszeichnung ab, absolvierte das Studium der Geografie an der Universität Graz und legte auch die Rigorosen mit Auszeichnung ab; die Promotion fand am am 26.6.1906 statt. Später studierte sie neben ihrem Beruf Medizin an der Universität Wien und erwarb ihr zweites Doktorat.
Laufbahn: Vom Juli bis Oktober 1900 war sie Supplentin an der öffentlichen Mädchenschule in Deutsch-Landsberg/Stmk., vom Februar 1901 bis Juni 1902 Aushilfslehrerin an der öffentlichen evangelischen Schule in Graz (sie selbst war römisch-.katholischen Glaubens).
Nach ihrer Promotion erlangte sie eine Anstellung an der Nationalbibliothek, denn In der Zeit des Präfekten Josef von Karabacek (1899–1917) wurden erstmals auch Frauen als akademische Hospitantinnen aufgenommen, darunter Etta Kleinsasser. Sie wurde mit 1.9.1906 eingestellt, nachdem von ihren Universitätslehrern ausgezeichnete Referenzen eingeholt worden waren; typisch für das damalige Bild und Selbstverständnis der Frauen die Charakteristik, sie sei „genau, gewissenhaft und von zäher Energie, die man ihr nach dem ersten Eindruck ihres eher schüchternen Auftretens nicht zutrauen würde.“ Bei Dienstantritt als Volontärin musste man ihr sagen, dass Frauen zur Beamtenlaufbahn an der Hofbibliothek aus prinzipiellen Gründen [!] nicht zugelassen werden könnten und sie musste einen Revers unterschreiben, mit dem sie auf alle dienstrechtlichen und finanziellen Ansprüche verzichtete. Sie bekam dann doch 100 Kronen pro Monat bezahlt. Sie wurde in der neu eröffneten geografischen Sammlung eingesetzt, wo sie sich ausgezeichnet bewährte. Karabacek suchte nachdrücklich um Verlängerung an, die aber vom Oberstkämmereramt unumstößlich letztmalig bis Ende September 1907 bewilligt wurde. Der Direktor sah sie „mit großem Bedauern“ scheiden, doch sie musste gehen, weil sie eine Frau war. Die erste Anstellung einer Akademikerin erfolgte an der Nationalbibliothek erst 12 Jahre später.
Doch im k.k. Ministerium für öffentliche Arbeit konnte sie eine Anstellung als Bibliothekarin erhalten und leistete am 3. Dezember 1910 ihren Diensteid, „seiner Majestät…Franz Joseph dem Ersten…unverbrüchlich treu und gehorsam zu sein, und nachdem Sie zur Bibliothekarin…ernannt sind, so werden Sie schwören, die Staatsgrundgesetze unverbrüchlich zu beobachten…“ (Im Ministerialdienst wurden Bibliothekarinnen am frühesten auf Akademikerposten angestellt und erreichten auch am frühesten eine leitende Stellung). Die Qualifikationstabelle über sie vom Jahr 1913 weist „sehr gut“ für ihre fachliche Ausbildung und für ihre „Fähigkeiten und Auffassung“ und ebenso für ihre „Eignung für den Parteienverkehr und für den äußeren Dienst“ auf und „ausgezeichnet“ für „Fleiß, Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit“.
Im Jahr 1914 wurde jedoch eine Disziplinaranzeige gegen sie erstattet, und sie wurde von der Oberdisziplinarkommission (welcher auch der einige Zeit als Beamter tätige Dichter Richard Schaukal angehörte) schuldig gesprochen, und zwar mit der Begründung, sie habe im Jahr 1911 die aus ihrer Stellung im Ministerium für öffentliche Arbeiten sich ergebenden Beziehungen zum Beamtenkörper dazu missbraucht, einige im Urteil genannte Personen mit Erfolg im Darlehen in beträchtlicher Höhe anzugehen, zu einer Zeit, da sie sich bereits in verschuldeter Lage befunden habe (die näheren Umstände wurden im Urteil ausführlich dargelegt); dazu habe sie ein teilweises Geständnis abgelegt.
Weiters wurden ihr sechs im Jahr 1914 getane Äußerungen zur Last gelegt, die wörtlich zitiert sind, von denen sie aber nur vier zugab, darunter folgende: Wenn Russland sich einmenge, sei dies die Rache für die Treulosigkeit Österreichs im Krimkrieg; oder: Ein General habe sich geäußert, unser Pulver hätte die Wirkung wie Topfen. Die Zeugin der Äußerungen, eine namentlich genannte Kollegin, beharrte auf ihrer Aussage, doch die Disziplinaroberkommission, die diesen Anklagepunkt insgesamt nicht als so schwerwiegend beurteilte, hielt einen Irrtum der Zeugin für möglich, weil Dr. Kleinsasser „die ihr zur Last gelegten Tatsachen im allgemeinen freimütig einbekenne“.
So auch bei der Beschuldigung, dass sie während ihrer Staatsdienstzeit mit dem übel beleumundeten, mit ihr nicht verwandten Mirone Vlainich gemeinsam gelebt habe, zumal unter Umständen, die geeignet waren, den Anschein außerehelichen Zusammenlebens zu erwecken. Das Zusammenleben mit ihm habe sie unumwunden gestanden.
Es wurde „über sie die Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauernden Ruhestand mit einer 10%igen Verminderung der ihrer Dienstzeit entsprechenden Abfertigung verhängt“. Ihre Nachfolgerin war Margarethe Fichna.
Hingegen wurde der ebenfalls erhobene Vorwurf, dass Dr. Kleinsasser ohne Anzeige und ohne Bewilligung ihrer vorgesetzten Behörde an der Universität Wien als ordentliche Hörerin Medizin studierte, nicht als Dienstvergehen bewertet, weil sie trotzdem ihre dienstlichen Pflichten erfüllte.
Etta Kleinsasser beendete nach ihrem Ausscheiden aus dem Ministerialdienst auch dieses Studium erfolgreich, erwarb also ein zweites Doktorat. Am 10.5.1920 erhielt sie ihre Bestallung als Ärztin und war ab 1923 Fachärztin für Augen, ab 1931 für Kiefer. Sie war zuletzt in Wien 9., Wilhelm-Exnergasse 24/6 gemeldet und starb im AKH am 19.3.1958.

Literatur / Quellen

Quellen
Personalakt im Staatsarchiv (Fach: 15 AVAFHKA MföA – Präs. 2568/1915 (GZ 121871915) Signatur : 4 a 19 aus Kt.15
WStLa, Ärztekammer, K2/2; Meldeunterlagen.

Literatur
Wawrik, Franz: Zur Vorgeschichte und Entstehung der Kartensammlung der Österr. Nationalbibliothek. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 47/48. Wien 1991/92, S. 155–158.

Werke

Der Wasserhaushalt im Narentagebiet. Diss. Univ. Graz, 1906.

Biografieautor:

Edith Stumpf-Fischer

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